Industriekultur

Magazin für Denkmalpflege, Landschaft, Sozial-, Umwelt- und Technikgeschichte

Vorträge & Tagungen

Reparieren…: Jahrestagung des Interdisziplinären Gremiums Technikgeschichte des VDI, Berlin 2022

Technik ist immer auch etwas „Unfertiges“: Sie muss gehegt und gepflegt, regelmäßig inspiziert, vorsorgend gewartet oder nachsorgend repariert werden. Manche Technik wird über die Zeit hinweg umgebaut und umfunktioniert. Technik funktionsfähig zu halten bedeutet, sie auszubessern, wiederherzustellen oder an modifizierte Aufgaben anzupassen. Wartung, Inspektion, Reparatur und Revision benötigen zumeist erfahrenes Personal und immer auch verkörperte Handlungsroutinen, „tacit knowledge“ und spezifisches Know-how, um auf Schwachstellen reagieren und um Abnutzungserscheinungen oder Fehler gezielt erkennen und beheben zu können. Reparieren und Improvisieren sind mithin auch wichtige Strategien, um eine Technik einer Zweitnutzung zuzuleiten; ergänzt um das Re-Arrangieren von Komponenten sind sie außerdem Basis dafür, eine bestehende Technik in gänzlich anderen Verwendungszusammenhängen weiter zu nutzen bzw. erhalten zu können.

Mit dem weit gefassten Titel „Reparieren, Improvisieren, Re-Arrangieren“ widmet sich die Jahrestagung 2022 des Interdisziplinären Gremiums Technikgeschichte des VDI dem Leitgedanken einer Technikgeschichte des Unfertigen. In sozial-und kulturwissenschaftlichen Studien wurde dies kürzlich als ein „broken world thinking“ (Jackson) beschrieben. Studien zum Technikumgang im Globalen Süden haben außerdem auf Praktiken wie „Modding“ und „Bricolage“ verwiesen, wenn vorhandene oder importierte Technik über ein Re-Arrangieren von Alt und Neu an die regionalen Anforderungen angepasst wird.

Reparieren, Improvisieren und Re-Arrangieren sind in der Mensch-Technik-Interaktion zentral und überall dort zufinden, wo die soziale und materielle Ordnung einer Gesellschaft wiederhergestellt wird. Zugleich findet die konkrete Arbeit oft im Hintergrund statt: Reparaturspuren sollen „unsichtbar“ bleiben und das Reparieren geht oftmals als „invisible work“ mit einem geringen Prestige der Wartungs- und Reparatur-Akteure einher. Die Praktiken des Instandhaltens sind letztlich auch als zeitliche Eingriffe zu verstehen, die die Nutzungsdauer von Technik verlängern.

Innerhalb der Technikgeschichte ist die fundamentale Bedeutung von Reparieren, Improvisieren und Re-Arrangieren detailliert für die Vormoderne beschrieben worden. Erste Studien haben inzwischen herausgearbeitet, wie wichtig das Pflegen, Reparieren und Erhalten von technischen Anlagen, Artefakten und Infrastrukturen auch für die moderne Technikentwicklung ist. Je nach Region oder Technikbereich lassen sich unterschiedliche historische Konjunkturen von professionellen Reparatur- und Wartungsservices aufzeigen; so manche Technik erforderte in ihrer Einführungsphase das aktive Eingreifen in eine noch nicht so beständige Technik. Neue Technikmärkte waren auf Reparaturservices angewiesen – den „middle ground“ (Borg) zwischen Konsum und Produktion – , und in zahlreichen Bereichen des privaten Technikkonsums entstanden Kulturen des Selber-Reparierens.

Ziel der Tagung ist es, die Bedeutung von Reparieren, Improvisieren, Re-Arrangieren in der Geschichte von Technik sowie auch im praktischen Umgang mit technikhistorischen Artefakten sichtbar zu machen. Erwünscht sind einerseits theoretische Reflexionen zur Bedeutung von Reparatur und Wartung, Workaround, Bricolage und Re-Arrangement in verschiedenen historischen Epochen und Regionen, andererseits historische Analysen zu einzelnen technischen Bereichen sowie Beispiele aus der (auch museologischen oder denkmalpflegerischen) Praxis des Erhalts technikhistorischer Objekte.

Ein Podium diskutiert außerdem die Rolle von Reparatur für eine nachhaltige Entwicklung und bringt Reparatur-Historiker*innen ins Gespräch mit Vertreter*innen der „Repair-Bewegung“ und Stakeholdern der „Circular Economy“.

Abhängig von der Pandemie-Situation findet die Tagung online, hybrid oder in Präsenz – am Deutschen Technikmuseum und an der TU Berlin (Kooperationspartner ist das Fachgebiet Technikgeschichte) – statt. Vortragende sollten daher bereit sein, ihre Beiträge auch online zu präsentieren, und der Aufzeichnung der Beiträge einwilligen. Im Herbst 2022 widmet das Deutsche Technikmuseum dem Thema „Reparieren“ eine große Sonderausstellung.

Zu den folgenden fünf Schwerpunkten möchten wir zu Einreichungen von Beiträgen einladen:

Instandhaltung als zentrales Feld technischen Handelns und Prozesse der Professionalisierung

Bisher fehlt vor allem zur Instandhaltung in der Moderne eine nähere historische Bestandsaufnahme. Wie und warum hat sich dieser „middle ground“ in einem bestimmten Technikfeld gewandelt? Wie haben sich Professionalisierungsprozesse vollzogen? Welche spezifischen Wissensformen prägten den Umgang mit „unfertiger“ bzw. außer Funktion gesetzter Technik und wie wurden diese erlernt? Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede bestehen zwischen einzelnen Technikfeldern? Wie unterscheiden sich verschiedene ökonomische Regimes hinsichtlich des Reparierens (z.B. wurden sozialistische Staaten als „repair societies“ beschrieben)? Welche Einschnitte wurden z.B. durch standardisierte Massenproduktionsverfahren, Vergehäusung, Miniaturisierung oder Digitalisierung ausgelöst?

DIY-Kulturen des Reparierens: Identitäten, Motivationen und Bedeutungen

Die Professionalisierung von Wartung und Reparatur trennte in zahlreichen Technikfeldern Techniknutzer*innen von Expert*innen, die nun mit speziellem Werkzeug und entsprechender Ausbildung defekte Artefakte wieder in Funktion brachten. Selber repariert wurde aus ökonomischen Gründen, aber auch, um sich eine bestimmte – oft genderstereotyp geprägte –Identität zu schaffen und um technisches Können zu erlangen und zu praktizieren. Die heutige „Repair“-Bewegung konstatiert so unter anderem eine „technische Literazität“ und ein „self  empowerment“ durch das DIY-Reparieren, welches Macht und Wissen der Nutzer*innen gegenüber den Produzierenden stärkt, und sie fordert ein „Recht auf Reparatur“ als Nachhaltigkeitsstrategie (siehe weiter unten).Welche Formen nicht-professioneller Reparatur waren in der Vergangenheit wichtig und wie haben sie die Technikentwicklung mitgeprägt? Welches Verhältnis bestand zwischen professioneller und DIY-Reparatur?

Improvisieren und Re-Arrangieren in Regionen und Märkten abseits des Erstgebrauchs

Insbesondere im globalen Blick zeigen sich die vielstufigen Nutzungskaskaden, die technische Artefakte oft durchlaufen. Vielfach beschrieben sind das „truck modding“ in Afrika, der alte Mercedes-Wagen, der jahrzehntlang als Taxi in den Städten Marokkos weiter lief, oder westeuropäische Trams, die nach ihrer Ausmusterung ihre Runden in osteuropäischen Städten drehten. Willkommen sind vor allem Beiträge, die noch kaum beleuchtete Regionen, Techniken oder Formen des Re-Arrangierens behandeln.

Wartung, Reparatur und Second-Hand-Nutzung als Strategie für mehr Nachhaltigkeit

Die derzeitige „Repair“-Bewegung setzt sich für ein Verlängern von Techniknutzungsdauern durch Pflege, Wartung, Reparatur und Zweit-bzw. Weiternutzung ein, um Technik nachhaltiger zu machen. Dies gilt es zu historisieren: Zum einen waren Reparieren, Improvisieren und ein „stewardship“ für Dinge (Strasser) schon im vormodernen „Oikos“ üblich, um mit knappen Ressourcen zu haushalten; zum anderen brachten bereits die umweltbewegten 1970er Jahre die Forderung nach reparierbaren oder modularen Designs und nach längeren Nutzungsdauern auf, die durch Wartung, Reparatur und Re-Arrangement erreicht werden sollten. Welche Analogien und Unterschiede bestehen zwischen damals und heute? Und wie verhielt sich das Reparieren zu weiteren, als ökologisch gedachten Strategien wie z.B. dem Recycling? Das wachsende Interesse am „Bauen im Bestand“ und ähnliche Entwicklungen auch bei Maschinen gehören ebenfalls zu diesem Schwerpunkt.

Umnutzung und Re-Arrangieren von „alter“ Technik und von technischem Kulturerbe

Im praktischen Umgang mit alter Technik und vor allem auch dem technischen Kulturerbe stellt sich unmittelbar die Frage von Reparieren und Re-Arrangieren: Wie kann der Spagat zwischen Erhalt des Alten und aktueller Nutzung gelingen? Wie lässt sich Reparatur- und Wartungswissen weitergeben, um die jeweilige Technik in Schuss zu halten? Wie können Reparatur- und Wartungspraktiken im musealen Bereich als immaterielles Kulturerbe bewahrt und gesammelt werden? Wie verhält sich dieses Wissen zu demjenigen der Denkmalpflege und der Restaurierung? Und wie lassen sich die unterschiedlichen Ziele – einerseits Erhalt des Quellenwerts, andererseits Anpassung an die Nutzungsanforderungen – vereinbaren?

Vorschläge für Beiträge (Abstract von max. 500 Worten und max. 1 Seite CV) senden Sie bitte bis zum 15. Okt. 2021 an:

technikgeschichte@vdi.de

Individuelle Vorträge sind 20 Min. lang und werden von einer Diskussion gefolgt; es können auch Formate abseits des klassischen Vortrags eingereicht werden. Die Reise- und Übernachtungskosten der Referent*innen können im Falle von Präsenz vom VDI im Rahmen der üblichen Konditionen (Bahnfahrt, 2. Klasse und maximal 130 € pro Übernachtung incl. Frühstück) übernommen werden. Sie erhalten im November eine Benachrichtigung, ob wir Ihren Vorschlag berücksichtigen können.

Reparieren, Improvisieren, Re-Arrangieren: eine Technikgeschichte des Unfertigen
Jahrestagung des Interdisziplinären Gremiums Technikgeschichte des VDI
3.-4. März 2022, TU Berlin (Fachgebiet Technikgeschichte) und Deutsches Technikmuseum, Berlin

Website der VDI-Technikgeschichte mit CFP zum Herunterladen

Abbildung: Mühlenbau Schumann (muehlenbau-schumann.de)