Industriekultur

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Hamburg: Die Dampf-Marzipan-Fabrik und andere Quellen weihnachtlicher Genüsse

Passend zur Jahreszeit bietet auch die Industriekultur weihnachtliche Themen. Die Seehandelsstadt Hamburg (»Das Tor zur Welt«) war seit Jahrhunderten – und ist es noch heute – ein bedeutender Umschlagplatz für Gewürze, Kaffee, Trockenfrüchte und sonstige »Spezereien« aus dem Orient. Dazu gehören auch Mandeln, Zucker und das Rosenwasser als Hauptbestandteile des Marzipans. Deshalb siedelten sich in Hamburg, Altona, Königsberg und in Lübeck schon frühzeitig Marzipanfabriken an, die ihre Produkte in ganz Europa verkauften…

­In Zusammenarbeit mit dem Weihnachtshaus Husum präsentiert die ­Weihnachtsausstellung des Altonaer Museums in Hamburg noch bis zum 5. Januar 2014 die Kulturgeschichte des Marzipans, seine Herkunft, seine Mythen, Rezepte und Anbindung an die Hafenstädte Europas.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte Marzipan eine neue Blüte: die Formenschneider Carl Schröder in Lübeck und Berthold Keinke (später sein Schwiegersohn Gustav Krieg) in Hamburg, schufen neuartige, reproduzierbare Marzipanmodel aus Schwefel, mit deren Hilfe Marzipanbilder und vollplastische Marzipanfiguren sehr einfach herzustellen waren. Insbesondere die Tortenbilder mit Städteansichten erfreuten sich bald in ganz Deutschland großer Beliebtheit. Das Conditoreimuseum Kitzingen hütet einen umfangreichen Schatz an Schwefelmarzipanmodeln der Hamburger Konditorei Fastert, u.a. von wichtigen touristischen Stadtansichten Hamburgs. Darunter finden sich beispielsweise der »Hamburger Jungfernstieg«, das »Hamburg- Wappen«, die »Alsterarkaden«, das »Neue Rathaus«, der »Hamburger Hauptbahnhof, das »Uhlenhorster Fährhaus«, das »Hamburger Bismarckdenkmal sowie der »Ritter zu Pferd«, das Markenzeichen der Holsten-Brauerei.

Die Bedeutung dieser Marzipanbilder und -figuren zur damaligen Zeit zeigt sich in diesem umfangreichen Formenbestand, der nur durch einen entsprechend bedeutenden Marzipanumsatz und zahlungskräftige Kundschaft zu erklären ist. Herausragend unter den Marzipanfabriken Hamburgs bzw. Altonas war die Dampf-Marzipan-Fabrik von L. C. Oetker in Bahrenfeld, die sich laut Anzeige in der Konditorzeitung Trier vom 26. November 1909 rühmt: »Mein Umsatz in Marzipan-Massen und Mandel-Fabrikaten ist der größte der Welt. Ein schlagender Beweis für die Güte und Preiswürdigkeit meiner Fabrikate«. In der Festschrift zum 30-jährigem Bestehen wird außerdem die Marke für den Export benannt, die den berühmten Ausspruch Albert Ballins für die Marzipanwerbung aufgreift: »Mein Feld ist die ganze Welt!«.

Dieses unterstreicht der Autor des Buches »Altona Großindustrie und Handel« Paul Hirschfeld, 1889. Er schreibt: »Die Firma L. C. Oetker stellt täglich etwa 4.000 Pfund und während des letzten Quartals täglich gegen 8.000 Pfund Marzipan und Nussmasse her, welche sie an Konditoren, Konfiseure und Feinbäcker sowie auch an Grossisten im In-und Auslande versendet.« Diese glorreiche Zeit der Schwefelmodel endet 1950, als dieses Material im Konditoreihandwerk verboten wird. Damit scheint der Boom dieser Marzipantorten in Hamburg erloschen zu sein; in Lübeck ist diese Tradition bei den Marzipanfirmen mit der Ansicht des Holstentores noch anzutreffen.

Es lässt sich konstatieren, dass die Konditoren Hamburgs seinerzeit nicht in der Lage waren, die weit bedeutendere Marzipantradition in der Freien und Hansestadt Hamburg aufrecht zu erhalten, im Gegensatz zu Lübeck, wo es gelungen ist, daraus ein Marketinginstrument zu entwickeln, dessen Credo »Marzipan gleich Lübeck« weltweit bekannt ist.

Geschenktipp

Anlässlich seines 150-jährigen Bestehens lässt das Altonaer Museums diese schöne Hamburger Tradition in kleinerer Tortenform wieder aufleben. Ein Marzipanmodel mit der repräsentativen Ansicht des Museums um 1900 und dem Motiv »150 Jahre Altonaer Museum« kann in Marzipan ausgemodelt und verspeist werden – oder auch aufgehoben, weil es zu schade zum Essen ist.

Das Buch zur Ausstellung

Torkild Hinrichsen, Marzipan – Das Brot der Engel
96 Seiten, zahlr. farbige Abb., broschiert, Format 16 × 24 cm
11,95 Euro, Husum Verlag, ISBN 978-3-89876-620-3

Erstmals liegt eine umfassende Kulturgeschichte des Marzipans in Deutschland mit Ausblicken auf die Nachbarländer vor. Wahrscheinlich arabischer Tradition nachfolgend, wurde Marzipan zunächst in den Mittelmeerländern, dann in Frankreich und Deutschland seit dem ausgehenden Mittelalter bereitet. Handelszentren und die großen Hafenstädte verfügten über entsprechende Handelsverbindungen, um die Rohstoffe Rohrzucker und Mandeln bereitzuhalten. Neben Flachreliefs, die aus Negativformen gewonnen wurden, entstanden außer den heutigen Broten und Glücksschweinen in freier Modellierung Früchte und Figuren aller Art, nicht nur zur Weihnachtssaison, sondern auch anlässlich örtlicher und kirchlicher Festtage produziert wurden. Der Band fußt auf den Sammlungen des Altonaer Museums und des Weihnachtshauses Husum.

Nicht nur aus Hamburg kommt Marzipan…

Lübeck II

Das „Markusbrot“ bei Wikipedia