Industriekultur

Magazin für Denkmalpflege, Landschaft, Sozial-, Umwelt- und Technikgeschichte

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Guangzhou/China: Erste Umnutzungen von Industriebauten entlang des Perlflusses

Zwei Konversionsprojekte, bei denen industrielle Bausubstanz erhalten und umgenutzt werden soll, beziehen sich auf den Hauptarm des Flusses, der weiter südlich um das Stadtzentrum herumführt. Die Abzweigung eines nördlichen Armes, an dem auch das historische Kanton befindet, führt zu einem besonders weiträumigen Flussraum, an dem sich wichtige Landmarken wie das renommierte Hotel Swan befinden.

Auf der gegenüberliegenden Flussseite, die ursprünglich dicht mit Industrie- und Handelsbauten besetzt war, wurde ein neues Vergnügungsviertel angelegt. Zunächst wurden die Bauten einer ehemaligen Turbinenfabrik für neue Nutzungen hergerichtet. Das 1967 eröffnete und 2004 geschlossene bzw. verlagerte Unternehmen umfasste eine Vielzahl unterschiedlicher Bauten wie Gießerei, Montagehallen, Verwaltung, Wohnheim und Sanitärbauten. Vor der zentralen Halle, die als flexible Bühne für Präsentationen aller Art dient, entstand ein zum Fluss hin geöffneter Platz, an dem auch Schautafeln über das Gesamtprojekt informieren.

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Eine weitere, seitliche Halle wurde durch eine zweite Ebene als Kunstgalerie hergerichtet. Während das Wohnheim weiter genutzt wird, entstanden im ehemaligen Verwaltungsgebäude maisonettartige Hotelappartments.

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Während die Bauten, schlichte industrielle Betonskelettkonstruktionen mit Betondachstühlen und Backsteinausfachung, teilweise durch vorgesetzte Betonelemente optisch bereichert wurden, überrascht der penible Erhalt etwa des einfachen Lampensystems im Freigelände, bei dem die an Holzmasten hängenden Leuchtkörper durch einfache Drähte versorgt werden.

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Weitere Industriegelände am Flussufer des Liwan-Distriktes wurden auf nutzbare und historisch interessante Bauten untersucht. Dabei fand sich neben historischen Industriebauten etwa auch die ehemalige deutsche Kirche, jetzt Ruine, die wieder hergestellt werden soll. Eines der größten Industrieareale, etwas abseits des Flusses, wird von einem Eisen- und Stahlwerk eingenommen; angesichts einer geplanten Verlagerung und Neubebauung des Areals wird auch hier bereits über einen möglichen Erhalt der um 1960 begonnenen Hochofenanlage nachgedacht.

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Auf der anderen Flussseite, im Osten des Haizu-Distriktes auf der von zwei Perlflussarmen gebildeten Insel, hat eine größere Gruppen von Lagerhäusern auf einem offiziellen Hafenareal überlebt. Sie werden unter dem Namen „Taikoo Fisherman’s Wharf“ für neue Nutzungen hergerichtet. Die meist als zweischiffige Hallen errichteten, ein- und zweigeschossigen  Lagerbauten besitzen unterschiedliche Dachkonstruktionen aus Holz, Eisen und Beton; die eindrucksvolle Baugruppe wird ergänzt durch einen markanten Beton-Wasserturm. Auf der Flussseite befinden sich drei T-förmige Betonpiers und ein jüngeres Dienstgebäude; Verladeeinrichtungen wie Kräne sucht man allerdings vergeblich.

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Nach den Vorstellungen der Hafenbehörde, die hier als Entwickler auftritt, bilden die Hallen eine neutrale Hülle für eine Vielzahl möglicher, am liebsten kultureller Nutzungen, für die derzeit Investoren und Mieter gesucht werden. Auch eine Ausstellung zur Geschichte des Areals seiner früheren Funktion ist vorgesehen.

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Die vorliegenden Entwürfe zeigen allerdings teilweise eine „Verschönerung“ der in schlichter „britischer“ Backsteinarchitektur errichteten Bauten; eine verglaste Passage soll die Hallen zentral erschließen. Am Rande der drei Betonpiers ist ein Yachthafen vorgesehen.

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Ob für weitere noch erhaltene, teils aufwendiger gestaltete Lagerhauskomplexe, die charakteristische Elemente der Uferlandschaft am Perlfluss bilden, ebenfalls die Chance einer Umnutzung statt einer Neubebauung besteht, ist offen. Viele wurden wohl bereits durch die ans Flussufer strebenden, beliebten kommerziellen Großwohnkomplexe verdrängt.

Erfolgreiche Revitalisierungen wie die „Factory 798“ in Peking und ähnliche Projekte in Shanghai lassen Stadtplanung und Investoren den Erhalt und die Umnutzung einiger Altindustrie-Standorte als kulturelle und geschichtspolitische Vorzeigeobjekte zur Bereicherung der Stadtlandschaft möglich und sinnvoll erscheinen. Für den Erhalt historisch oder städtebaulich wichtiger und prägender Industriedenkmale setzt sich dabei weniger die – auf „traditionelle Kulturdenkmale“ fixierte – Denkmalbehörde als die inzwischen breit und vielfältig aufgestellte Stadtplanungs und –entwicklungsbehörde ein. Hier laufen nicht nur alle Fäden der Verkehrs-, Grün- und  Bebauungsplanung zusammen; auch die Konkurrenz verschiedener Stadtbezirke um innovative industriekulturelle Projekte könnte sich belebend und positiv auf die Chancen für den Erhalt teils noch vergleichsweise junger, aber dennoch wichtiger, typischer und akut bedrohter  Zeugnisse der Industrie- und Technikgeschichte auswirken.