Archiv für den Monat: November 2008

Teesdorf/Niederösterreich: Immer mehr bauliche Zeugnisse der Textilindustrie gehen verloren

Das noch erhaltene Hauptgebäude der Fabrik mit seinem markanten Wasserturm wurde 1910 als früher Stahlbetonskelettbau nach Plänen des bedeutenden Industrieplaners Bruno Bauer fertiggestellt. Der Bau ist nicht nur ein erstrangiges Beispiel für die Anfänge des modernen Industriebaus (und damit des modernen Bauens überhaupt) in Österreich, er ist zugleich Wahrzeichen der Gemeinde Teesdorf und letztes greifbares Zeugnis dessen über 200jähriger Tradition als Industriestandort.

Im Jahr 1803 gegründet, prägte "die Fabrik" das Schicksal der Gemeinde. Darüber hinaus haben zwei Ereignisse rund um die Teesdorfer Spinnerei auch übergeordnete kulturgeschichtliche Bedeutung: 1856 kam es hier zur ersten Gründung einer Arbeiter-Konsumgenossenschaft. Und von 1906-26 war Hermann Broch, später als Literat einer der bedeutendsten Romanautoren des 20. Jahrhunderts, Assistenzdirektor (bzw. Geschäftsführer) der von seinem Vater erworbenen Fabrik.

An Hermann Broch erinnern in Teesdorf ein Denkmal und ein kleines Museum, das im Gemeindeamt untergebracht ist. Die Stätte seines Wirkens aber, die Fabrik, harrt heute einer ungewissen Zukunft. Seit die Spinnerei 1993 ihre Pforten geschlossen hat, sind die flächenmäßig größten Teile der Fabrik – darunter die ältesten Bauteile aus dem frühen 19. Jahrhundert und die Arbeiterwohnhäuser – 1997 abgerissen und neu bebaut worden.

Der Eigentümer des Areals, die Linz Textil AG verkaufte großteils an Wohnbaugesellschaften, die auf dem Gelände Reihenhäuser errichteten. Das ehem. Herrenhaus, in dem die Spinnerei-Verwaltung untergebracht war, wurde erst kürzlich wenig behutsam in ein Wohnhaus umgebaut. Gleichzeitig wurde das ehem. E-Werk (Kesselhaus) der Fabrik, das zeitgleich mit dem Hauptbau errichtet wurde und mit einer bemalten Jugendstildecke (einer – lt. Professor Gerhard A. Stadler – "bemerkenswerten Rarität") versehen war, dem Erdboden gleich gemacht.

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Zu befürchten steht, dass auch dem mittlerweile stark heruntergekommenen Hauptbau dieses Schicksal droht, zumal dem Vernehmen nach Teesdorf´ Bürgermeister einem Abriss nicht mehr negativ gegenüber steht. In der Vergangenheit geäußerte Absichten und Pläne, das Fabriksgebäude in die Neubebauung zu integrieren und zur Atriumwohnanlage umzubauen, scheinen ad acta gelegt. Dazu kommt, dass der Denkmalstatus des Gebäudes derzeit offenbar ungeklärt ist.

In Felixdorf wurde erst kürzlich die ebenfalls der Linz Textil gehörende Spinnerei samt ihrer historischen Bauteile abgerissen, die Teesdorfer Fabrik mit ihrer einmaligen architektonischen und historischen Bedeutung darf nach Überzeugung der Initiative Denkmalschutz diesen Weg nicht gehen.

(Text und Fotos: Wolfgang Burghardt, Initiative Denkmalschutz)

Essen: ERIH-Jahreskonferenz zeigt die europäische Industriekultur als touristischen Erfolgsfaktor

"Die Ankerpunkte und Standorte des ERIH e. V. begeistern jedes Jahr Millionen von Menschen, dieses Netzwerk ist bereits jetzt ein bedeutender Tourismusfaktor und wichtiges Kompetenzzentrum." stellte der Vereinsvorsitzende Dr. Meinrad Maria Grewenig fest. Dass Industriekultur als Reiseanlass bereits eine wesentliche Rolle spiele, zeige eine vom ERIH e. V. durchgeführte Befragung aller europäischen ERIH-Ankerpunkte und Industriestätten sowie regionaler Tourismusorganisationen.

Viele Beispiele für erfolgreiche touristische Nutzung von Industrieerbestätten präsentierten Vertreterinnen und Vertreter europäischer Industriedenkmale. Auch die Sicht der Tourismusexperten kam nicht zu kurz. Welche Faktoren für  industriekulturelle Angebote über Erfolg oder Misserfolg entscheiden und wie das Zusammenspiel zwischen Industriestätte und Reiseagentur optimiert werden kann, wurde von den Fachleuten vorgestellt.

Ein wesentlicher Faktor ist  das Zusammenspiel von Routen und regionalen Netzwerken: deutlich gemacht am Beispiel der Montanregion Erzgebirge, die über eine große Vielfalt von technik- und industriekulturellen Angeboten verfügt.

Die Vermarktung von Industriestätten über fachliche Vermittlung in Kombination mit Events und erlebnisorientierten Angeboten stellten die Beispiele der Völklinger Hütte, der Amsterdamer Westergasfabriek, des Ironbridge Gorge Museums und der „Stadt aus Eisen“ Ferropolis dar. Industrieerbestätten haben mehr als nur eine Identität und schaffen somit die Möglichkeit einer breiten kulturellen Bespielung. So definierte der Vorstandsvorsitzende des ERIH e. V. und Generaldirektor des Welterbes Völklinger Hütte Dr. Meinrad Maria Grewenig die Industriekultur als Kulturplattform des 21. Jahrhunderts.

Auf der ersten Jahreskonferenz des im Februar 2008 ebenfalls auf Zollverein gegründeten ERIH-Vereins konnte auch eine eindrucksvolle Bilanz vorgestellt werden: Seit der Gründung des Vereins sind weitere Standorte zu dem europäischen Netz dazugekommen. Die Kooperation, die bereits das größte gesamt Europa umfassende Kulturnetzwerk ist, wurde um zwei ERIH-Ankerpunkte erweitert: Foxton Locks in Großbritannien und Santral in der türkischen Metropole Istanbul. 

Alle Tagungsbeiträge der Konferenz stehen in Kürze zum Download auf der Webseite www.erih.net bereit. Die Website ist das zentrale Informationsmedium des mittlerweile rund 800 Standorte umfassenden Verbundes und informiert über die 67 Ankerpunkte, zehn Regionale Routen, zehn Themenrouten, Industriegeschichte in einzelnen Ländern sowie über bedeutende Persönlichkeiten. 

Hamm/Witten: 100 Jahre nach dem Grubenunglück auf der Zeche Radbod

Das Radbod-Denkmal in Bockum-Hövel

"Glück auf" heißt auch "Komm gut zurück nach oben!" Dieses Glück war nicht allen Bergleuten beschieden. Vom Grubenunglück zeugt das große Denkmal in Hamm (Ermelingstr./Fritz von Twickel Weg). Trauernde wenden sich dort einem hohen Kreuz zu, auf dem zu lesen ist: "Dem Andenken der auf Zeche Radbod am 12.11.1908 verunglückten Bergleute. Gewidmet von der Bergwerksgesellschaft Trier." Zum Andenken an den 100. Jahrestag der Katastrophe kürte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) das Grabdenkmal zum Denkmal des Monats.

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"Dieses Ehrenmal für das Grubenunglück in Hamm ist eine von vielen Erinnerungen an die Gefahren, denen sich der Bergmann bis heute aussetzen muss. Es erinnert an die Toten. Das Denkmal veranschaulicht aber auch die Geschichte unseres Sozialstaates: Es war die Solidarität der Benachteiligten und es war ein handlungsfähiger Staat, die nach und nach zur heutigen Sicherheit am Arbeitsplatz und im Sozialen führten", erklärt LWL-Denkmalpfleger Dr. Hans Hanke die Bedeutung des Denkmals.

Vor 100 Jahren kam es auf der Zeche Radbod zu einer der folgenschwersten Schlagwetter- und Kohlenstaubexplosionen im deutschen Steinkohlenbergbau. Das Unglück ereignete sich am 12. November 1908 um 4.20 Uhr. Von 400 angefahrenen Bergleuten konnten nur 35 tot und 36 verletzt geborgen werden. Unglücksursache war die Entzündung des unter Tage häufig austretenden Methangases an einer benzinbetriebenen Grubenlampe. Anschließend brachen im Bergwerk verheerende Brände aus. Um die zu löschen, wusste man sich nicht anders zu helfen, als die Schächte mit dem Wasser des Flusses Lippe vollständig zu fluten. Es wurde später diskutiert, ob die Flutung nicht zu früh kam und eher auf die Erhaltung der Betriebsanlagen als auf die Rettung der Bergleute ausgerichtet war.

Das Unglück löste eine politische Diskussion über Arbeiterschutzmaßnahmen und Aufsichtspflichten aus. Es wurde ein Arbeitsschutzgesetz gefordert. Zur Unterstützung dieser Forderung streikten Arbeiter in vielen Orten. Als eine Konsequenz des Unglücks wurden im Deutschen Reich alle offenen Grubenlampen abgeschafft und durch neuartige elektrische Sicherheitslampen ersetzt. Man begann damit auf der Zeche Radbod.

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Am Gedenkort in Hövel thematisiert die Skulptur einer jungen Witwe mit ihrer halbwüchsigen Tochter die Verzweiflung der Hinterbliebenen. Ihnen gegenüber trauert ein kniender Knappe um seine toten Kameraden, er stützt sich auf seine Hacke. Er hält eine Grubenlampe, die die Kundigen auf Segen und Fluch der Bergbautechnik deutlich hinweist.

Die Figuren aus Bronze knien oder sitzen auf zwei hohen Postamenten aus Dolomit-Gestein. Die Namen sind aktuell erneuert worden, denn die alten Schriften waren verwittert. Vor den Tafeln bieten steinerne Bänke Gelegenheit zur Besinnung. Das Denkmal schuf der Bildhauer Ernst Müller-Braunschweig (1860-1928). Er hatte durch Werke in Bremen, Magdeburg, Braunschweig und Worms auf sich aufmerksam gemacht.

Buchpräsentation und Ausstellung auf Zeche Nachtigall

Am Sonntag, 16. November 2008, wird im LWL-Industriemuseum Zeche Nachtigall das Buch mit den Aufzeichnungen des Wittener Bergmanns Moritz Wilhelm der Öffentlichkeit präsentiert; das LWL-Industriemuseum veröffentlicht damit eine einzigartige Quellen zur Reviergeschichte.

Moritz Wilhelm hatte als "Königlicher Einfahrer" die Aufgabe, die Schäden unter Tage zu sichten und zu dokumentieren. Seine Beobachtungen hielt er mit Worten und Skizzen fest. "Diese Dokumente sind einzigartige Quellen, die uns sehr nahe an das damalige Geschehen heranführen. Sie sind zugleich ein erschütterndes Zeugnis des Bergmannstodes", erklärte Ingrid Telsemeyer, wissenschaftliche Referentin im LWL-Industriemuseum, am Montag (10.11.) bei Vorstellung des Buches in Witten. Begleitend dazu zeigt das Museum in einer kleinen Ausstellung Exponate wie eine geborgene Wetterlampe, zeitgenössische Postkarten und die Original-Einfahrerurkunde von Moritz Wilhelm.

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Die Ereignisse des 12. November 1908 waren dramatisch: Nachdem verschiedene Versuche, in das brennende Grubengebäude vorzudringen, gescheitert waren, wurde am Nachmittag desselben Tages der Entschluss gefasst, die Grube zu fluten. Zu diesem Zeitpunkt noch Überlebende bergen zu können, schien hoffnungslos. Alle drei Sohlen der Zeche Radbod wurden unter Wasser gesetzt, um die Brände zu löschen. Die Leichen der verunglückten Bergleute blieben unter Tage.

Nachdem das Bergwerk ausgepumpt war, begannen im Februar 1909 die Bergungs- und Aufräumarbeiten. Um die Ursache des Unglücks aufzuklären, wurden dem Bergrevier Hamm drei "Königliche Einfahrer" zugeordnet. Sie beaufsichtigten und dokumentierten die Arbeiten bis zum Ende im Dezember 1910. Ihre Berichte waren Grundlage der Ermittlungen der Bergbehörde zu Ursache und Verlauf der Katastrophe und dienten der Identifizierung der Toten.

Zwei der Berichtshefte, die den Zeitraum von September 1909 bis Dezember 1910 umfassen, blieben in Privatbesitz erhalten. "Die Aufzeichnungen des Einfahrers Moritz Wilhelm gestatten heutigen Lesern einen unverklärten Blick in ein durch Schlagwetterexplosion verwüstetes Grubengebäude", so Ingrid Telsemeyer. Detailgenau, mit fachlich geschultem Blick beschreibt er Explosions- und Brandspuren und dokumentiert mit Worten und Skizzen, in welcher Arbeitssituation die Bergleute vom Tod heimgesucht und in welchem Zustand sie aufgefunden wurden. Wichtige Hinweise für die Identifizierung der Leichen lieferten dabei ihre Kleidung und weitere Gegenstände wie Lampen und Werkzeuge.

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Ebenso bedeutsam ist die zweite von der Familie Wilhelm zur Verfügung gestellte Quelle: Die persönlichen Erinnerungen von Moritz Wilhelm an seinen Radbod-Einsatz, die er um 1930 für seine Familie niederschrieb. Bemerkenswert darin: Moritz Wilhelm hielt in seiner Ursachenanalyse Sprengarbeiten für den Auslöser der Explosion, während im offiziellen Bericht der Bergbehörde die Entzündung von Grubengasen durch eine defekte Wetterlampe für wahrscheinlich gehalten wird.

"Beide Quellen sind nicht nur für die Fachwelt eine außergewöhnliche Entdeckung. Die Texte und Zeichnungen zeigen die Arbeitswelt Untertage nach einer großen Katastrophe und damit einen bisher auf diese Weise nicht dargestellten Aspekt der Bergbau- und Sozialgeschichte des Ruhrgebiets", erklärt Mitherausgeber Dr. Olaf Schmidt-Rutsch vom LWL-Industriemuseum.

Das Buch dokumentiert beide Quellen und liefert die Hintergrundinformationen. Zahlreiche zeitgenössische Abbildungen ergänzen diese Darstellungen. Die beiliegende CD erschließt das vollständig wiedergegebene Dokument interaktiv und macht es für weitere Forschungen verfügbar. Durch das digitale Glossar wird die Quelle auch für Bergbau-Laien gut lesbar, Übersichtskarten des Bergwerks und eine neu recherchierte Opferliste aller 350 Opfer sind außerdem enthalten.

Olaf Schmidt-Rutsch / Ingrid Telsemeyer (Hg.):
Die Radbod-Katastrophe. Berichte und Zeichnungen des Einfahrers Moritz Wilhelm (LWL-Industriemuseum, Quellen und Studien 17)
Klartext-Verlag, Essen 2008, 13,90 ¤

Ausstellung:
Grubenunglück Radbod 1908: Die Aufzeichnungen des Einfahrers Moritz Wilhelm
16.11.2008 bis 30.6.2009
LWL-Industriemuseum Zeche Nachtigall
Nachtigallstraße 35, 58452 Witten
Geöffnet Di – So 10 – 18 Uhr (geschlossen vom 22.12.08 bis 1.1.09)

Buchpräsentation und Ausstellungseröffnung:
So, 16. November, 11 Uhr
LWL-Industriemuseum Zeche Nachtigall (s.o.)
Musikalische Gestaltung: Ensemble "Grubenlicht & Wetter" DuoSago & Liedermacher Frank Baier mit historischem Liedgut aus dem Ruhrgebiet

Radbod in Wikipedia

(Text- und Bildquellen: LWL)

Neunkirchen-Seelscheid: Wahnbachtalsperre gibt vorübergehend historische Brücken frei

Nach Medienberichten begann Anfang November nach Abschluß der Sanierungsarbeiten die erneute Flutung des Staussees. Der Wasserstand war vorübergehend auf 20 m (sonst 50 m) abgesenkt worden. Dadurch wurden nicht nur die Grundmauern der abgebrochenen Gehöfte und Ausflugsgaststätten sichtbar, sondern auch die Trasse der Mitte der 1920er Jahre angelegten Wahnbachtalstraße, die Siegburg und Much verband. Bedeutendstes – und unter Wasser hervorragend erhaltenes – Bauwerk ist die Derenbachtalbrücke, die über ein Seitental führt. Die Eisenbeton-Bogenbrücke besitzt eine auf einzelnen Stützen aufgeständerte Fahrbahn. Die übrigen Brücken sind einfache Steinbrücken.

Während der Sanierungsarbeiten stehen zwei Aussichtspunkte beiderseits der Staumauer zur Verfügung, die auch ein vielseitiges Informationsangebot bereithalten. Vom südöstlichen Aussichtspunkt aus ist die historische Brücke gut sichtbar. Das eigentliche Staubecken darf auch während der Bauarbeiten nicht betreten werden.

Unterhalb der Staumauer – wo sich ebenfalls Brückenreste finden – dient die historische Strassentrasse u.a. als Parkplatz.

Links

Wikipedia-Stichwort „Wahnbachtalsperre“ mit zahlreichen aktuellen Fotos

Website des Wahnbachtalsperrenverbandes

Zur Geschichte des Wahnbachtals

Bildergalerie der Sanierungsarbeiten