Archiv für den Tag: 28. Februar 2010

Bonn: Ausstellung „Hauptsache Arbeit. Wandel der Arbeitswelt nach 1945“ im Haus der Geschichte

­Der Traktor ist eines von rund 600 Exponaten der neuen Wechselausstellung „Hauptsache Arbeit. Wandel der Arbeitswelt nach 1945“. Vom 2. Dezember 2009 bis 5. April 2010 fragt die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel verschiedener Branchen nach den Veränderungen in der Arbeitswelt, besonders der Entwicklung von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Welchen Stellenwert hat Arbeit heute noch für den Einzelnen? Hat sich die gesellschaftliche Einstellung zur Arbeit verändert?

Auch die zahlreichen Medien und künstlerischen Installationen in der ­Ausstellung machen Wandlungsprozesse erlebbar und regen zum Nachdenken an: Am Beispiel der Produktion eines Mobiltelefons zeigt eine Projektion zur globalen Arbeitsteilung und Vernetzung Beteiligte rund um den Globus nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch im privaten Umfeld; ein Künstlerkollektiv lässt den Besucher in der Ausstellung im Wortsinn auf einem Ergometer arbeiten, um Informationen zum Thema „Arbeit“ zu bekommen.

Stiftungspräsident Prof. Dr. Hans Walter Hütter erläutert: „Arbeit geht über die unmittelbare Existenzsicherung weit hinaus. Arbeit ist Teil der menschlichen Identität“.

Rund 50 Zeitzeugen kommen in „Hauptsache Arbeit“ zu Wort: Sie geben Auskunft über ihre Berufsbiografien und berichten über den Wert der Arbeit in ihrem Leben. Die Interviews belegen, dass Arbeit keine abstrakte ökonomische Größe ist, sondern Menschen existenziell berührt.

Diese Lebensläufe sind Bestandteil der neun Ausstellungsbereiche, in denen sich das Thema konkretisiert. Jedes Fallbeispiel veranschaulicht eine andere Branche und dokumentiert strukturelle Veränderungsprozesse: So repräsentiert das Volkswagenwerk in Wolfsburg in den 1950er Jahren den Übergang zur Massenproduktion in der deutschen Automobilindustrie und die daraus erwachsenden Chancen für eine attraktive betriebliche Lohn- und Anfang der 1960er Jahre – lange bevor der Begriff der Globalisierung Allgemeingut wurde – geriet die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie verstärkt unter internationalen Konkurrenzdruck. Dies hatte teils dramatische Konsequenzen für den Produktionsstandort Deutschland – vor allem für die überwiegend weiblichen Arbeitskräfte. Weitere Bereiche in der Ausstellung sind die Entwicklungen in der Landwirtschaft und im Dienstleistungssektor z. B. bei der Deutschen Post, die sich vom Staatsbetrieb zum „global player“ wandelte.

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Arbeit in der DDR

Der Gegensatz zwischen der Arbeitswelt in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ist ein weiterer Schwerpunkt der Ausstellung, wobei die Zeitzeugen trotz unterschiedlicher politischer Rahmenbedingungen den Wert der Arbeit für ihr Leben ähnlich einschätzen. Das unter den Bedingungen der Zentralplanwirtschaft seit 1950 neu errichtete Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) erlaubt einen Blick in den Alltag eines sozialistischen „Musterbetriebes“, der als Vorzeigeprojekt entstand. Sein voller Ausbau scheiterte jedoch an der einseitigen Ausrichtung des ersten Fünfjahrplans an der Schwerindustrie und an den Ereignissen rund um den Volksaufstand am 17. Juni 1953.

Zukunft der Arbeit

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wandelt sich die Arbeitswelt durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien, beschleunigte Rationalisierung, Automatisierung und Flexibilisierung sowie verschärfte internationale Konkurrenz rasant. Die Ausstellung gibt den Besuchern auch Anstöße, über die Zukunft von Arbeit nachzudenken: Welche Auswirkungen hat der demografische Wandel auf die sozialen Sicherungssysteme? Wird es Erwerbsarbeit in den vorhandenen Formen bald nicht mehr geben?

Hauptsache Arbeit. Wandel der Arbeitswelt nach 1945

2. Dezember 2009 – 5. April 2010, Öffnungszeiten: Di-So, 9-19 Uhr, Eintritt frei

­Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland

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Fotos:

Porsche-Traktor 111: Mechanisierung in der Landwirtschaft: der Porsche-Traktor 111 ist einer von rund 120.00 Schleppern, die das Unternehmen Porsche bis zum Ende der Fertigung 1963 herstellt. © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Foto: Martin Magunia

"Bauten des Fünfjahresplanes – Eisenhüttenkombinat Ost (EKO)": Wo "einst nur Sand und Kiefern waren" entsteht 1950 das Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) als "Muster und Beispiel für unseren sozialistischen Aufbau". Repro: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Axel Thünker / Patrick Marc Schwarz

Werbeplakat Volkswagen: "1 Million Volkswagen": Bereits 1955 feiert VW den einmillionsten Käfer, in 110 Länder werden Volkswagen ausgeführt. So ist der Absatz der Massenproduktion gesichert. © Hans Looser, Volkswagen AG, Konzernkommunikation, Historische Kommunikation, Wolfsburg­

Mannheim: Historische Industriebauten der Firma Vögele vom Abriss bedroht

­Vögele hatte nach Darstellung des Vereins kurz vor Weihnachten 2009 in erster Instanz den Prozess um die Abrissgenehmigung gewonnen. Laut Gericht sei das „öffentliche Interesse“ nicht so groß, um den Abriss zu verbieten. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig und die Stadt Mannheim als Untere Denkmalschutzbehörde geht in die zweite Instanz.

Die beiden Gebäude und die Geschichte der Firma Vögele werden auf der RNIK-Webseite dokumentiert.

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Vögele, eines der ältesten Unternehmen in Mannheim, schreibt seit 1836 Mannheimer Industriegeschichte. Gerade das Verwaltungsgebäude und die Energiezentrale dokumentieren mit ihren Erweiterungen die wichtigsten Entwicklungsphasen dieser Mannheimer Weltfirma. Der Abriss der beiden historischen Gebäude im Zuge der Abwanderung der Firma wäre ein weiterer Kahlschlag wichtiger Zeugnisse der industriellen Blütezeit der Stadt, die die Quadratestadt zu Weltruf führten. Sicher lassen sich Nachnutzer für die Gebäude finden, die sie wertschätzen. Als Interessent und denkmalschutzkompatibler Nutzer wird die "Hochschule Mannheim", die bis vor kurzem noch "Hochschule für Technik und Gestaltung" hieß, in der Presse genannt.

Mit einem Appell gegen den Abriss des denkmalgeschützten Maschinenhauses und des Verwaltungsgebäudes wird vor allem das öffentliche Interesse unterstrichen, das das Verwaltungsgericht Karlsruhe in seiner erstinstanzlichen Entscheidung nicht sieht.

Die Firma Joseph Vögele AG, die seit 112 Jahren an ihrem jetzigen Standort am Neckarauer Übergang produziert, will im Sommer 2010 nach Ludwigshafen umziehen und das irmengelände quasi „besenrein“ vermarkten, obwohl seriöse Interessenten wie z.B. öffentliche Institutionen sich sehr ernsthaft als denkmalschutz-kompatible Nachnutzer gerade für diese Industriebauten anbieten. Es geht um einen kleinen Buchteil des Firmenareals, die Gebäude sind in bestem Zustand und werden noch heute von der Verwaltung des Weltkonzerns genutzt.

Das Unternehmen hat jedoch gegen die Stadt als Untere Denkmalschutzbehörde geklagt und in erster Instanz Recht bekommen. Die Richter am Verwaltungsgericht in Karlsruhe haben den Gebäuden zwar ihre heimatgeschichtliche Bedeutung und damit ihre Denkmalfähigkeit nicht abgesprochen. Es liege aber kein öffentliches Interesse an ihrer Erhaltung vor, sie seien deshalb nicht denkmalwürdig und damit dem Abriss freigegeben.

Der Verein Rhein-Neckar-Industriekultur, der die Unterschriftenaktion initiiert hat, weist darauf hin, dass das „öffentliche Interesse“ ein ausgesprochen dehnbarer, juristisch unbestimmter Begriff sei. Das Votum des Mannheimer Denkmalbeirats galt den Richtern „nur“ als Expertenmeinung und wurde deshalb in dieser Frage nicht herangezogen. „Das wäre in Hessen anders gelaufen, denn dort wird die Erhaltungswürdigkeit an die Auffassung eines breiten Kreises von Fachleuten geknüpft. Aber Denkmalschutz ist Landesrecht. Und nicht überall ist der Denkmalschutz dem Wirtschaftministerium unterstellt, wie in Baden-Württemberg“, so Barbara Ritter vom Verein RNIK. Eine Klärung, wie das öffentliche Interesse festgestellt wird, sei durchaus von grundsätzlicher Bedeutung. Die Karlsruher Richter argumentieren auch damit, dass die ehemalige Stadtvilla der Familie Vögele genug an Erinnerung sei. Dieses Kulturdenkmal, sogar mit einer Gedenktafel und direkt neben dem Schloss, mindere „das Interesse am Erhalt eines weiteren Assoziationsobjekts“, so die Richter. „Hier schimmert doch der überkommene deutsche Kulturbegriff durch, nach dem die Kultur erst da anfängt, wo Arbeit und Alltag aufhören“ gibt Hilde Seibert, ebenfalls im Vereinsvorstand, zu bedenken. „Da ist die Entwicklung doch schon weiter. Nicht nur Schlösser und Kirchen, „Industriekultur“ ist in anderen Metropolen wie z.B. im Ruhrgebiet und im Rhein-Main-Gebiet ein ganz selbstverständlicher und hervorragender Teil der Kultur.“

Dass das Interesse an Industriekultur auch in Mannheim und der Region stark ist, diese Erfahrung macht der Verein bei all seinen Aktivitäten. Der noch junge Verein hat in den letzten beiden Jahren durch Ausstellungen, Vorträge und Exkursionen zu den baulichen Zeugnissen der Industriegeschichte das Bewusstsein für die historischen Hinterlassenschaften geschärft und eine große Resonanz in der Bevölkerung erfahren. „Es wäre verheerend, wenn noch mehr Kahlschlag betrieben würde. Industriekultur ist Identität stiftend für viele Leute, junge und alte und quer durch alle Schichten“, so Jürgen Hermann, zweiter Vorsitzender des Vereins Rhein-Neckar-Industriekultur. Auch im Hinblick auf die Bewerbung als Kulturhauptstadt 2020 müsse alles getan werden, um die nach Kriegszerstörungen und gedankenlosem Abriss noch vorhandenen Zeugen der Industriekultur Mannheims für kommende Generationen zu bewahren.

Der Verein Rhein-Neckar-Industriekultur und seine zahlreichen Unterstützer hoffen nun auf ein offenes Ohr bei der zweiten Instanz. Es bleibt zu hoffen, dass der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim das öffentliche Interesse am Erhalt der beiden Vögele-Gebäude bestätigen wird. Die Unterschriftenliste im Internet, bei der sich auch ­prominente Mannheimer und Mannheimerinnen beteiligt haben, kann unter www.rhein-neckar-industriekultur.de eingesehen werden. Die Aktion wird fortgesetzt bis zur Entscheidung des Gerichtshofs.

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(Fotos: RNIK)