Archiv für den Tag: 21. August 2007

Russland: Dritte Tagung „Industrielles Erbe“ in Wyksa, Region Nishnij-Nowgorod

Ziel der Tagung waren der Austausch aktueller industriehistorischer Forschungsergebnisse sowie ihre Verknüpfung mit industriearchäologischen, lokalgeschichtlichen und museal-denkmalpflegerischen Ansätzen.

In der einleitenden Plenarsitzung sprachen Wenjamin Alexejew, Direktor des Instituts für Geschichte und Archäologe der Ural-Abteilung der Akademie der Wissenschaften („Metallurgische Werke des Ural als Denkmale industrieller Zivilisation“); Wladimir Saparij, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Technischen Universität in Jekaterinburg und russischer TICCIH-Repräsentant („Theoretisch-methodische Aspekte beim Studium des Industriellen Erbes“), Alexander Kierdorf, Architekturhistoriker in Köln und Mitglied von TICCIH-Deutschland („Industriekultur in Deutschland – Situation und Perspektiven“) sowie der Hauptorganisator der Konferenz, Nikolai Arsentiew, Professor an der Mordowischen Universität in Saransk („Wyksa als russischer Industriezentrum – Geschichte und Gegenwart“).

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Stahlwerk der WMS

In dem nachmittags anschließenden Praktischen Seminar „Erfahrungen mit der Musealisierung und Umnutzung des Industriellen Erbes“ wurden verschiedene Beispiele für die Einbindung von Industriedenkmalen in städtebaulich-geschichtliche Anlagen vorgestellt. Einen Schwerpunkt bildete dabei die Diskussion über die Zukunft der in Wyksa vorhandenen Werke des Ingenieurs Wladimir Schuchow: einen kurz vor 1900 errichteten Wasserturm sowie eine mit Netzkuppeln gedeckte Werkshalle auf dem Gelände der Fabrik. Städtebauliche Planungen sehen vor, den derzeit inmitten des Stahlwerks stehenden Turm an den Stausee im Stadtzentrum zu versetzen, wo er zusammen mit historischen Gebäuden, darunter dem Herrenhaus der Fabrikgründerfamilie Bataschjow, wiederhergestellten Nebengebäuden der ersten Fabrik sowie der Kirche Teil eines neu gestalteten Ortskernes würde.

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Aus historischen und konservatorischen Gründen wurde die geplante Versetzung des Wasserturmes jedoch stark kritisiert. Bürgermeister Rajew berichtete über eine kürzlich ebenfalls auf dem Fabrikgelände identifizierte weitere, mit einer tonnenförmigen Netzkonstruktion überdachte Halle von Schuchow.

In zwei Vorträgen stellten Prof. Rainer Graefe von der Universität Innsbruck sowie Prof. Rainer Bartel von der Technischen Hochschule München ihre Untersuchungen zu der in Wyksa erhaltenen, innerhalb des Werks von Schuchow einmaligen Fabrikhalle vor. Rainer Graefe stellte die Konstruktionen Schuchows in den internationalen Zusammenhang der Ingenieurbaugeschichte. Rainer Bartel berichtete über die von seinem Team vorgenommenen detaillierten Untersuchungen zu Baugeschichte und Zustand der Halle.

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In einem dritten Vortrag stellte die Professorin Natascha Winogradowa die besondere Bedeutung der Region Nishnij Nowgorod für das Werk Schuchows heraus, ausgehend von der Industrieausstellung 1896. Sie berichtete von den Bemühungen, die insgesamt sechs bekannten Bauten Schuchows in der Region zum Weltkulturerbe erklären zu lassen und damit zu schützen. Wie dringend dies gerade angesichts des geringen öffentlichen Interesses sei, belegte sie mit Bildern von den durch Metalldiebe bis auf ein letztes erhaltenes Exemplar zerstörten Strommasten Schuchows über die Oka bei Dshershinsk.

Abschließend stellte Natalija Aschawskaja von der Moskauer Stiftung „Schuchow-Turm“ ihre auch von den Nachkommen des Ingenieurs unterstützen Aktivitäten vor.

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Schuchow-Wasserturm in Wyksa

Der zweite Sitzungstag war in vier Sektionen überwiegend lokal- und wirtschaftgeschichtlichen Themen gewidmet. Alle Beiträge wurden – wie auf den vorherigen gleichnamigen Tagungen in Saransk (2005) und Gus-Krystalnij (2006) vorab in einem voluminösen Band publiziert. Das Abschlussplenum verabschiedete unter anderem eine Resolution, in der mehr Unterstützung für die Erforschung der Industriegeschichte und Studium und Erhalt ihrer Zeugnisse auch auf höchster staatlicher Ebene gefordert wurde. Damit soll die Stellung der Industriekultur in lokalen und regionalen Zusammenhängen gestärkt und als gesamtstaatliche Aufgabe gefestigt werden.

Der letzte Konferenztag war dem Besuch des gastgebenden Unternehmens gewidmet, das in diesem Jahr sein 250jähriges Bestehen feiert. Neben dem Schuchow-Wasserturm wurde eine von mehreren Produktionsstrassen für grosse geschweisste Röhren besichtigt. Die Wyksaer Metallurgische Fabrik hat sich in den letzten Jahren als führender Lieferant von Eisenbahnrädern in Russland sowie durch eine neuerrichtete Produktionslinie für beschichtete Gasleitungsrohre für Pipelines zu einem der „Leader“ der postsowjetischen Wirtschaft entwickelt. In einem in den 1930er Jahren errichteten Siemens-Martin-Werk wird aus Schrott Rohstahl erzeugt. Das Unternehmen gehört zur gleichen Gruppe wie das ebenfalls industriegeschichtlich bedeutende Hüttenwerk in Tschussowoj/Ural.

 

Nähere Informationen zur Werkgeschichte (englisch) unter:www.vsw.ru/en/about_en/history_en/

Zum Werk von Wladimir Schuchow siehe u.a.:www.shukhov.ru/deutsch.html

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