Industriekultur

Magazin für Denkmalpflege, Landschaft, Sozial-, Umwelt- und Technikgeschichte

Museen & Ausstellungen

Ausstellungsprojekt zum Strukturwandel in Düren

„Vom Leben in Industrielandschaften – Den Strukturwandel im Blick“ ist der zweite Teil eines Ausstellungsprojekts, das im Herbst/Winter 2019/2020 mit der Ausstellung „Vom Leben in Industrielandschaften – Eine fotografische Bestandsaufnahme“ begonnen hat. In dieser Präsentation ging es darum, sich mittels der indexikalischen und konzeptuellen Qualitäten von Fotografie den Erscheinungsformen industriell geprägter Landschaften zu nähern.

Ausgangsmotiv des zweiteiligen Ausstellungsprojekts „Vom Leben in Industrielandschaften“ ist das für die Sammlung des Leopold-Hoesch-Museums ikonische Gemälde „Das Lendersdorfer Walzwerk“ (1838) von Carl Schütz. Das Bild ist ein typisches Beispiel für das ausgeprägte Selbstbewusstsein und die Art der Selbstdarstellung von Industriellenfamilien zur Zeit der frühen Industrialisierung. Bis heute ist die Landschaft um Düren, zwischen Garzweiler und den Stauseen der Eifel, durch ihre industrielle Nutzung geprägt.

Das Projekt „Vom Leben in Industrielandschaften“ ist eine Aufforderung, sich mit den eigenen Wahrnehmungen dieser Landschaft auseinanderzusetzen, mit den widersprüchlichen und komplexen Räumen, die sich zwischen Tagebau, Kraftwerken und Hochspannungsmasten, Papierfabriken, Zuckerrübenäckern, dem nahen Kernkraftwerk Tihange und den überfluteten Orten im Umland öffnen.
Die Ausstellung „Vom Leben in Industrielandschaften – Den Strukturwandel im Blick“ wurde in Kooperation mit dem Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst | Dieselkraftwerk Cottbus entwickelt. Wie in Düren spielt der Braunkohletagebau in Cottbus seit Generationen eine wichtige Rolle für das kulturelle Selbstverständnis der Stadt und das Landschaftsbild der Region. Das Ende des Braunkohletagebaus ist für Cottbus ebenso akut wie für Düren.

Im Zentrum der Ausstellung stehen daher künstlerische Installationen zeitgenössischer Künstler*innen, die sich mit dem Braunkohletagebau in Hambach und den zunehmend spürbaren Folgen des Klimawandels auseinandersetzen. So zeigen Aglaia Konrad, Stephan Mörsch, Silke Schatz sowie die Preisträgerin der Günther-Peill-Stiftung 2018, Alice Creischer, Arbeiten zum Tagebau in Hambach und Inden, zu den Baumhaussiedlungen im Hambacher Forst, zu Manheim und zum Zusammenhang des Braunkohleabbaus in Düren mit dem internationalen Umgang mit Ressourcen.
Dabei stellt sich die Frage, wie der massive physische Eingriff, den der Tagebau für die Landschaft bedeutet, überhaupt dargestellt werden kann. Silke Schatz bezeichnet ihre Arbeit „Manheim Calling“ als „Schattenarchiv“ für das Bauerndorf Manheim, das zurzeit abgebaggert wird. In der Ausstellung wird ihre Installation zu Natasha Nisics Zeichnungen und einer Videoarbeit in Beziehung gesetzt, die den Spuren und Lücken nachgeht, die das Erdbeben, der Tsunami und die nukleare Katastrophe 2011 in Fukushima hinterlassen haben. Antje Majewski schildert in ihrer Installation „Wald“, wie der Borkenkäfer den Nadelwäldern mehr und mehr zusetzt. Wie in anderen Arbeiten Majewskis nutzt sie auch hier die Malerei als Mittel, um ein Objekt – den vom Käfer befallenen Baum – zu verwandeln und eine andere Form der Betrachtung zu ermöglichen. Ihre Bilder fordern eine fast intime Nähe ein und erzeugen andererseits auch Befremdung.

Der Fotograf Wilhelm Schürmann wird seinen aktuellen Fotozyklus „Urwald hinterm Haus“ vorstellen, der bei Spaziergängen während der Pandemie um seinen Wohnort Kohlscheid, eine landwirtschaftlich geprägte Steinkohle-Folgelandschaft, entstanden sind. Die Konzentration des Blicks auf das unmittelbare persönliche Umfeld, die dem lokalen Betrachter fast alltäglich erscheinen wird, entwickelt in einzelnen Fällen ein hohes Maß an Abstraktion und eine Verunsicherung darüber, mit welcher Art von Bild man es hier eigentlich zu tun hat.

Die Kölner Radioautoren Olaf Karnik und Volker Zander haben unter dem Titel „Vom Leben in Industrielandschaften“ ein Hörstück realisiert, für das sie Gespräche mit Menschen aus Düren und Umgebung über ihr Verhältnis zu ihrer Landschaft geführt haben. Ausgehend von der Auswilderung von sechs Biberpaaren im Rur- und Kalltal vor exakt 40 Jahren und der sich abzeichnenden Wiederbelebung des für den Braunkohletageabbau schon leergeräumten Dorfes Alt-Morschenich, ist in Form eines O-Ton-Essays und einer Rauminstallation eine vielstimmige Landschaftserzählung von
Rureifel und Jülicher Börde zwischen Abschieden und Neuanfängen entstanden. Die zeitgenössischen Arbeiten werden in der Ausstellung zu unterschiedlichen historischen malerischen Positionen in Beziehung gesetzt, die mit ihren Darstellungen von Industrielandschaften, die die beiden Sammlungen in Düren und Cottbus prägen, wie etwa die Malereien von Adolf Erbslöh und Karl Zerbe, Carl Lohses expressionistisches Gemälde „Glashütte“ oder die Arbeiten von Dieter Dressler und Günther Friedrich aus der frühen DDR. Diese werden weiteren Künstler*innen gegenübergestellt, beispielsweise dem Kölner Progressiven Franz Wilhelm Seiwert, der bereits in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg seinen Blick auf den ländlichen Raum der rheinischen Tiefebene richtete.

In den ausgestellten Kunstwerken spiegeln sich die unterschiedlichen politischen oder ideologischen Kontexte, in denen sie jeweils entstanden sind. Wie verhalten sich beispielsweise die Fotografien von Bernd und Hilla Becher zu Wolfgang Mattheuers Gemälden, die seit den späten 1960er Jahren entstanden sind? Welches Verhältnis von Landschaft und industriellen Eingriffen, Arbeit und Leben wird hier jeweils deutlich? Wie ist die Nähe zwischen den stilllebenhaften Bildern der Engländerin Prunella Clough und des in den frühen Jahren der DDR in der Lausitz arbeitenden Günther Friedrich zu erklären? Wie sehr sind diese Bildfindungen Ausdruck des politischen Kontexts, in dem sie entstanden sind? Belegen Sie nicht vielmehr, dass es beiden Künstler*innen in erster Linie um ein Ausloten der Möglichkeiten der Malerei geht?

Begonnen hat das zweiteilige Projekt mit der Ausstellung „Vom Leben in Industrielandschaften – Eine fotografische Bestandsaufnahme“, die vom 27. Oktober 2019 bis zum 16. Februar 2020 im Leopold-Hoesch-Museum stattgefunden hat. Hier ging es darum, sich mittels der indexikalischen und konzeptuellen Qualitäten von Fotografie den Erscheinungsformen industriell geprägter Landschaften zu nähern. In dieser ersten Ausstellung wurden Arbeiten von Bernd und Hilla Becher, Joachim Brohm, Irmel Kamp, John Kelsey, Aglaia Konrad, Susanne Kriemann, Armin Linke, Jürgen Matschie, Angela Melitopoulos/Maurizio Lazzarato, Albert Renger-Patzsch, August Sander, Arne Schmitt, Carl Schütz und Ulrich Wüst gezeigt.

Leopold-Hoesch-Museum (leopoldhoeschmuseum.de)

Leopold-Hoesch-Museum — Vom Leben in In­dus­trie­land­schaf­ten (leopoldhoeschmuseum.de)