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Offener Brief zur Rettung des Zillmann-Kraftwerks in Beuthen-Schomberk/Bytom Szombierki

Viele Verluste können schweigend ertragen werden, … beschrieben, … dokumentiert, … unter Bedauern der ungenutzten Möglichkeiten für eine gesellschaftliche, wirtschaftliche und zivilisatorische Entwicklung. Es kann jedoch nicht geschwiegen werden, wenn einer der größten und architektonisch wertvollsten Komplexe des industriellen Erbes, ein Meisterwerk der Ingenieurkunst und ein Symbol der Region – das ehemalige KRAFTWERK OBERSCHLESIEN IN BEUTHEN / BYTOM – zu verschwinden droht.

In den vergangenen Jahren waren wir wiederholt Zeugen des Verlustes von Schlüsselbauten des industriellen Kulturerbes Oberschlesiens. Sie verschieden nicht in Stille, sondern begleitet vom Getöse einstürzender Mauern, die von Bulldozern niedergerissen wurden, oft in Anwesenheit von Vertretern der Denkmalschutzbehörden, die in einem Akt hilfloser Verzweiflung mit Papieren wedelnd versuchten, die Abbruchmaschinen zu stoppen. So verschwand die Magna Industria, unser Stolz, Erbe, Zeugnis der faszinierenden Geschichte dieser Region.

Dieser von Beginn des wirtschaftlichen und politischen Wandels an zu beobachtende Prozess fand unter – oftmals lauten – Protesten von Liebhabern der Geschichte statt, die mit der Feststellung abgetan wurden, dass der freie Markt und die „Weisheit“ der Investoren das Problem gemäß den Erwartungen der Gesellschaft lösen würden. Die Menschen wurden mit Visionen geblendet, dass kommerzielle Blechcontainer, Symbole der Pseudo-Modernität, besser seien als die Adaptation alter Überreste der einstigen Industrie von „schlechter Herkunft“. Nur einige Gemeinden und wenige private Eigentümer haben sich um die Rettung des postindustriellen Kulturerbes verdient gemacht und damit letztlich zur wirtschaftlichen Aktivierung des jeweiligen Standortes beigetragen. Zu Lebzeiten nur einer Generation sind das von der Industrie geprägte Landschaftsbild und die Industriedenkmäler – UNSERE SCHLESISCHEN WAWEL-SCHLÖSSER [Wawel = Schloss der polnischen Könige in Krakau] – verschwunden.

Das Kraftwerk Oberschlesien, das spätere EC Szombierki, wurde 1920 in Betrieb genommen. Bauherr war die Firma Schaffgotsch, gegründet von der Erbin Karl Godulas, Joanna Gryzik; den Entwurf lieferten zwei herausragende, hauptsächlich in Oberschlesien tätige Architekten, Georg und Emil Zillmann aus Berlin. In die Geschichte der Region gingen die beiden vor allem als Architekten der Arbeitersiedlung Nickischschacht/ Nikiszowiec ein, eines der wichtigsten Symbole Oberschlesiens, eines Geschichtsdenkmals. Nach Absicht des Bauherrn und der Architekten sollte das Kraftwerk nicht nur eine Industrieanlage, sondern auch ein monumentales Symbol der Moderne – eine Kathedrale des Industriezeitalters – sein: Daher die repräsentative Form, die Assoziationen mit einem Kirchenbau oder einer Festung weckt, die Büroräume im Stil der frühen Moderne, die kühnen Gewölbe aus Stahl und Lärchenholz und der modernste Maschinenpark jener Zeit, dessen Krönung mehr als 20 Kessel und Elektroturbinen waren. Das Kraftwerk versorgte die Stadt Beuthen, die umliegenden Ortschaften und die Industriebetriebe mit Strom. Nach 1939 erreichte die Anlage eine Leistung von 100 MW und wurde damit zu einem der größten Kraftwerke Europas. Zusammen mit der meisterhaften Gestaltung der umliegenden Landschaft bildete der von Grün umgebene, majestätische Baukörper mit seinem charakteristischen Glockenturm und den drei hundert Meter hohen Schonstein-Türmen ein Symbol des damaligen Landkreises Beuthen.

Im Zuge der Stilllegung des Kraftwerks wurde die Anlage für eine Adaptation an neue Funktionen vorbereitet. Der Bau wurde nun einer Nutzung im kulturellen Bereich zugeführt. Die Internationale Konferenz für zeitgenössischen Tanz, die Mozart-Gala, das Theaterfestival Teatromania und das „Festival der Hohen Kunst“ wurden mit dem Arts & Business Award ausgezeichnet.

Die hoffnungsvollen Erwartungen, welche sich an die Übernahme des Ensembles im Jahr 2011 durch einen ausländischen Investor – das finnische Unternehmen „Fortum“ – geknüpft hatten, erwiesen sich als vergeblich. Die Anlage wurde geschlossen und die kulturelle Nutzung eingestellt. In den folgenden Jahren wurde das zunehmend verfallende Gebäude für eine geringe Summe an die Gesellschaft REZONATOR S.A. verkauft, die trotz ihrer Versprechen und erklärten Absichten nicht nur keine Revitalisierung des Komplexes veranlasste, sondern im Gegenteil dessen maximale Verheerung zuließ, den Abtransport von beweglichem materiellen Erbe und sogar die Abtragung und den Verkauf von historischem Kopfsteinpflaster aus dem Fabrikgelände.

Die Anlage wurde im Januar 2013 in das Denkmalregister eingetragen. Doch weder die Landschaftsgestaltung noch die bewegliche Ausstattung, zu der historische Maschinen und Geräte gehörten, wurden einem wirksamen Schutz unterzogen. Infolgedessen kam es zu einer beispiellosen Verwüstung, in deren Zuge der Großteil der historischen technischen Ausstattung beseitigt wurde. In den Jahren 2017–2019 entfernte man alle noch übrigen Maschinen, gusseisernen Podeste und Treppen, die nicht als bewegliches materielles Erbe in das Denkmalregister eingetragen worden waren. Nach der Industriada 2019 wurde das Gelände von der Route der Industriekultur gestrichen und stattdessen 2020 von Europa Nostra in die Liste der gefährdeten Kulturdenkmäler aufgenommen. Ähnlich wie zahlreiche andere Zuschüsse, die die Anlage hätte erhalten können, wurden auch die von Europa Nostra empfohlenen Finanzierungsmittel nicht eingeworben.

Derzeit stehen wir kurz vor einer Zwangsversteigerung, die in den kommenden Wochen erwartet wird. Diese könnte möglicherweise zu einer Trennung des Gebäudekomplexes (in ihrem Umriss ausgesondert) von dem umgebenden Terrain und der Landschaft führen, was wiederum einen direkten Verlust der städtebaulichen Integrität und des kulturellen Werts des gesamten historischen Ensembles zur Folge hätte.

Vor unseren Augen findet ein beispielloser Akt der KULTURVERNICHTUNG statt. Das Ende der prächtigsten Kathedrale der schlesischen Industrie, des Kraftwerks Oberschlesien in Beuthen-Schomberg, ist nahe, und die noch vor einem Jahrzehnt darin erklingenden Töne von Operngalas und Konzerten wurden durch den Lärm von Kettensägen und auf den Schrottplatz transportierter Bruchstücke unserer Geschichte verdrängt. Trotz einer Reihe von Diskussionen, Deklarationen und Strategien wird das postindustrielle Kulturerbe immer noch als Belastung angesehen, obwohl es in Wirklichkeit eine Entwicklungschance, eine Marke und ein wirtschaftliches Potenzial von Städten und Regionen darstellt. Wiederholt wurde uns auch zu verstehen gegeben, dass der Eigentümerstatus der historischen Bauten ein Hindernis für Interventionen seitens der Behörden sei.

Es ist an der Zeit, unmissverständlich zu sagen, dass das kulturelle Erbe kein Privateigentum ist, es ist niemandes private Angelegenheit … es ist eine uns, der Gesellschaft, anvertraute Leihgabe, es ist ein uns anvertrautes Erbe und ein Schatz, der das gegenwärtige Entwicklungspotential von Polen ausmacht, sowie ein Erbe, das wir an die nächsten Generationen weitergeben werden.

Der Verkauf des Objekts in Privathand befreit nicht von der Verpflichtung, alle Maßnahmen, einschließlich strenger rechtlich-administrativer Schritte, einzuleiten, um die Schätze unserer Kultur vor der Vernichtung zu bewahren. Das ehemalige Kraftwerk Oberschlesien, ein Werk der Schöpfer von Nickischschacht, Gieschewald / Giszowiec und Neu Gleiwitz / Nowe Gliwice, ist ein so hochklassiges Denkmal, dass es unter besonderem Schutz der Behörden und der zuständigen Denkmalämter stehen sollte.

Als Gesellschaft dürfen wir nicht zulassen, dass es wie viele andere Zeugnisse des kulturellen Erbes auf polnischem Boden der Vernichtung und dem Vergessen preisgegeben wird. Wir sind der Meinung, dass diese wichtige historische Stätte Gegenstand einer außerordentlichen Intervention des Ministeriums und der Woiwodschaftsbehörden werden sollte, deren Aufgabe es ist, ein Kulturerbe dieses Ranges für die Zukunft zu bewahren. Die bisherigen Bemühungen der lokalen Bevölkerung, der örtlichen Behörden, des Bauaufsichtsinspektors des Landkreises, des Woiwodschaftskonservators und der Staatsanwaltschaft haben bereits alle Möglichkeiten ausgeschöpft, Einfluss auf den derzeitigen Eigentümer zu nehmen. Der aktuelle Rechtsstatus bietet nicht viele andere, weitreichendere Möglichkeiten, den Eigentümer zu zwingen, sich um dieses einzigartige Denkmal zu kümmern. Daher ist ein außerordentliches Eingreifen des Polnischen Staates erforderlich.

Wir sind überzeugt, dass diese Intervention der Minister- und Woiwodschaftsbehörden die letzte Möglichkeit ist, die Entmutigung zu überwinden, deren Aura sich über dieses herausragende Werk der Architektur, Technik und Ingenieurkunst gelegt hat. Die Zerstörung dieses einzigartigen Denkmals wird einen tiefen Schatten auf die Behörden aller Ebenen werfen, und die nachfolgenden Generationen werden sie uns nicht verzeihen. Gemeinsam müssen wir das Kraftwerk Oberschlesien retten.

Mit freundlichen Grüßen,

Kongress für Denkmalschutz, Oberschlesien, Polen

Bitte senden Sie Ihre Unterschrift zur Unterstützung des Offenen Briefes per e-Mail an: koz.slaskie@gmail.com