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Berlin: VDI-Jahrestagung „Technikwenden in Vergangenheit und Zukunft“ am 27./28. Februar 2020

[1]Ob Verkehrs-, Energie- oder digitale „Wende“: „Technikwenden“ und Szenarien einer disruptiven Technikentwicklung werden derzeit in Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft allenthalben in Anklang gebracht. Vielfach wird Technik darin als bestimmende Triebkraft des gesellschaftlichen Wandels konstruiert – von den einen als Forderung, um z.B. die „Transformation“ in eine nachhaltige Gesellschaft bewerkstelligen zu können, von den anderen als Befürchtung, weil z.B. Automatisierung oder Künstliche Intelligenz bisherige Arbeits- und Wirtschaftsstrukturen aufzulösen scheinen…

Sind diese angemahnten oder befürchteten Technikwenden in die Zukunft gerichtet, so gab es auch in der Vergangenheit immer wieder von Technik ausgelöste Brüche. Zugleich kennt die Technikgeschichte nicht nur zahlreiche passierte, sondern auch erhoffte, postulierte, befürchtete oder gar verpasste und gescheiterte oder unvollendete „Technikwenden“. So ließen sich für die Zeit ab 1950 etwa die Ausrufung eines „atomaren Zeitalters“, einer „grünen Revolution“ oder der „menschenleeren Fabrik“ benennen.

Angesichts der jüngsten Debatten zu den Herausforderungen und Veränderungen durch, mit und über Technik lädt die VDI-Jahrestagung Technikgeschichte 2020 zu einer kritischen Reflexion über „Technikwenden in Vergangenheit und Zukunft“ ein. Zum einen wird nach – projizierten wie erlebten – Zäsuren durch Technik gefragt, die zu einem fundamentalen Wandel von Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur führten bzw. führen sollten oder sollen. Zum anderen gilt es zu hinterfragen, inwieweit das Bild der „Wende“ zur Beschreibung eines radikalen technischen Wandels geeignet ist, wann und wie es machtpolitisch verwendet wurde und schließlich, ob und warum es sich bei den reklamierten „Wenden“ auch tatsächlich um fundamentale Brüche handelte.  Technikgeschichte und Techniksoziologie haben inzwischen diverse Konzepte zum Technikwandel aufgestellt, die sich weitgehend von „Stufenmodellen“, in denen Techniken aufeinander folgen und sich in disruptiver Weise ablösen, verabschiedet haben: Vielmehr implizieren die meisten einen graduellen, allmählichen und langzeitigen Veränderungsprozess statt der abrupten Technikwende; längst wird beispielsweise eher von der „Industrialisierung“ denn von einer „industriellen Revolution“ gesprochen. Dieses fachspezifische Wissen um die historische Komplexität steht jedoch populären und den Innovationsdiskurs beherrschenden Vorstellungen zu „Technikrevolutionen“ und „disruptiven Techniken“ recht unvermittelt gegenüber: Denn das Bild der Technikwende ist nicht nur öffentlichkeitswirksam; es hilft auch dabei, eine Technik ins Gespräch zu bringen und Akteure wie Ressourcen zur Gestaltung der kommenden Technik zu mobilisieren.  Die Jahrestagung möchte außerdem reflektieren, inwiefern die technikhistorischen Beispiele in Form von einer „useable past“ Orientierungswissen für die aktuellen Debatten um die Technikgestaltung der Zukunft (z.B. die anvisierte Energiewende) liefern können und wie der Austausch zwischen Technikgeschichte und Öffentlichkeit bzw. Politik gelingen kann. Am ersten Veranstaltungsabend wird es dazu ein öffentliches Podium in Kooperation mit dem „Berliner Forum für Integrative Wissenschafts- und Technikforschung“ der TU Berlin geben, in dem Vertreter*innen aus Wissenschaft, Politik und Industrie diese Frage diskutieren werden.

Wir laden zu Vortragseinreichungen zu folgenden Themenblöcken ein:  – Zäsuren in der Geschichte der Technik und Konzepte zu ihrer Beschreibung: Periodisierungen sind auch für die Technikgeschichte zentral; die Energiegeschichte kennt beispielsweise das „hölzernen Zeitalter“, das vom „Kohle“- und schließlich dem „elektrischen Zeitalter“ abgelöst wurde. Es geht in diesem Cluster einerseits um eine Bestandsaufnahme dazu, in welchen Bereichen es in der Vergangenheit warum und wie zu erheblichen soziotechnischen Veränderungen kam. Zu fragen wäre dabei, ab wann wir von einer technikhistorischen Zäsur sprechen
können: Inwieweit waren die technischen Neuerungen auf bestehende Techniken und soziotechnische Arrangements angewiesen oder wurden diese radikal substituiert? Inwiefern war die „Wende“ möglicherweise regional begrenzt?  Andererseits sollen bestehende technikhistorische und -soziologische Konzepte zum Technikwandel diskutiert werden, wozu auch das Umgekehrte – das Ausbleiben von prognostizierten Veränderungen in verfestigten Techniksystemen – gehört.

– Rolle der Wende-Metapher in Innovationspolitik und bei der Mobilisierung von Ressourcen:  Die derzeitige Rede von „Industrie 4.0“ oder auch die vor Kurzem gegründete „Agentur für Sprunginnovationen“ deuten an, wie wichtig plakative Bilder einer radikalen Techniktransformation für Innovationspolitik und -diskurs sind. Zu fragen wäre nach den zentralen Akteuren, die solche Bilder ausformulier(t)en und nach den Motivationen: Inwiefern dient die Metapher der Technikwende dazu, Ressourcen oder Verbündete zu mobilisieren oder auch dazu, Hoffnungen und Vorstellungen zur kommenden Technikentwicklung auszuformulieren und zu verfestigen?

– Bilder einer abrupten Technikwende in Medien, Politik und Öffentlichkeit:  Darstellungen zum technischen Wandel in populären Medien und politischem Diskurs neigen dazu, diesen als ein abruptes Ablösen der vorherigen durch die fortschrittlichere Technik zu beschreiben. Einige Technikmuseen wiederum haben gezeigt, wie zwischen historischer Komplexität und eingängiger Wende-Metapher ein Mittelweg beschritten werden kann, um fundamentale technikhistorische Veränderungen zu vermitteln. Zugleich kann das starke Bild der „Technikwende“ aber auch dabei helfen, Verhaltensschritte auszulösen, die nötig sind, um etablierte Muster der Technikgestaltung und -nutzung zu verändern. Welche Rolle also spielt(e) die „Technikwende“ in der Öffentlichkeit, wo war bzw. ist das Bild wichtig, wo verzerrt(e) es?

– Beitrag der Technikgeschichte zu aktuell geforderten Technikwenden:  Die Idee der „useable past“ bzw. der/des „expert historian“ fordert, historisches Wissen solle stärker in die Politikberatung und in Entscheidungsprozesse von Wirtschaft und Industrie eingebracht werden. Technikgeschichte kann, so der derzeit auch von einigen Energie- und Mobilitätshistoriker/innen vertretene Anspruch, wichtige Aufschlüsse für die Technikgestaltung der Zukunft – ihre Komplexität, Herausforderungen und Fallstricke – geben. Wo liegen die Herausforderungen, wo die Grenzen, technikhistorisches Fachwissen in die aktuellen Debatten etwa um die „Energie“- oder die „Verkehrswende“ einzubringen?

Jahrestagung des VDI Ausschusses Technikgeschichte in Kooperation mit dem Fachgebiet Technikgeschichte, TU Berlin

Termin: 27./28. Februar 2020 Ort: Technische Universität Berlin

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