Industriekultur

Magazin für Denkmalpflege, Landschaft, Sozial-, Umwelt- und Technikgeschichte

Vorträge & Tagungen

Berlin: Tagung “Industrie. Erbe. Landschaft – Identitätskonstruktionen in „post“-industriellen Gesellschaften“ im Oktober 2017

Das DFG-Graduiertenkollegs 2227 „Identität und Erbe“ (TUBerlin/Bauhaus-Universität Weimar) lädt in Kooperation mit dem Arbeitskreis für Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V. für den 6. und 7. 10. 2017 an die Technische Universität Berlin ein…

Lucius Burckhardt stellte in seinem 1997 veröffentlichten Aufsatz über die Völklinger Hütte, die drei Jahre zuvor als eines der ersten Industriedenkmale von der UNESCO als Weltkulturerbe klassifiziert wurde, das behauptete post-industrielle Zeitalter infrage. Die Bezeichnung des stillgelegten Eisenwerks als „Denkmal des Industriezeitalters“ suggeriere eine überwundene Epoche, zumindest jedoch eine zeitliche Distanz zu vormaligen Orten ökonomischer und ökologischer Ausbeutung und gravierender Umweltverschmutzung…

Doch die industriellen Produktionsstätten sind nicht verschwunden – sie wurden vielmehr an andere Standorte einer globalen Ökonomie verlagert. Laut Ulrich Beck zeichnet sich die Gegenwart zudem durch eine systematische Zunahme von Risiken aus, die in hohem Maße durch die teils hochtechnologisierte Industrie vorangetrieben werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, die Umdeutungs-, Aushandlungs- und Inwertsetzungsprozesse von industriellen Landschaften in identitätsstiftendes Kulturerbe kritisch zu hinterfragen.

Damals wie heute wurden und werden kollektive Identitäten in anthropogenen Landschaften und deren materiellen Zeichen lokalisiert. Die durch Holzkohleproduktion und Massentierhaltung entstandenen Heidelandschaften wurden synonym mit der Heimat der Schotten; die Windmühlen, die das Wasser aus den vom Meer gewonnen Poldern abpumpten, avancierten zum pittoresk verklärten Symbol der Niederlande. Die jüngere Geschichte bietet die sukzessive Fortführung einer solchen identitätsstiftenden Landschaftsromantik, welche nun die Industrielandschaft als Quelle regionaler und transnationaler Identifikation verortet: Die „schönste Zeche der Welt“, das Weltkulturerbe Zeche Zollverein in Essen, fungiert als Repräsentant des Wandels einer ganzen Region. In den kantigen Umrissen der „Neuen Landschaft Ronneburg“ des in einen Landschaftspark verwandelten einstigen Uranabbaugebiets wird das Potenzial einer neuen regionalen Ikone Thüringens erkannt. Die Europäische Route der Industriekultur (ERIH) stilisiert industrielle Denkmale gar zum europäischen „Symbol für eine gewachsene Identität der Bürgerinnen und Bürger“.

Der Schaden wird, so Burckhardt, bewahrt, poetisiert, ästhetisiert. Da Identitätsbehauptungen hochgradig selektiv sind, gehört die Aufwertung und Umdeutung einzelner Elemente ebenso notwendig zu ihren Konstruktionsprozessen wie das Ausblenden, Verdrängen oder Marginalisieren anderer. Ein großer Teil davon wird u.a. im Rahmen von Eventisierung und Touristifizierung versinnlicht und verwertbar gemacht. Unbequeme oder sich einer Ästhetisierung widersetzende Aspekte der Vergangenheit werden ausgeblendet oder nur bestimmten Räumen, wie beispielsweise Museen, zugewiesen. Die Verfahren solch symbolischer Neubesetzungen können somit als Bewältigungsstrategien verstanden werden, die, so eine These, das Bedürfnis nach Kontinuität, Ursprünglichkeit und Kontrolle in einer durch Kontingenzerfahrungen und zunehmende Komplexität geprägten Gegenwart befriedigen.

Spätestens die potenziellen Ewigkeitsschäden der Atomindustrie und ökologischer Katastrophen übersteigen die räumlichen und zeitlichen Dimensionen der bisherigen Denkmal- und Erbedebatten. Bereits auf der documenta 13 problematisierte die Künstlerin Amy Balkin die bisherige Erbepolitik, als sie forderte, die Erdatmosphäre in die UNESCO-Welterbeliste aufzunehmen.

Vor diesem Hintergrund sollen, unter anderem, folgende Fragen diskutiert werden:
– Was wird als Industrieerbe anerkannt und was marginalisiert? Welche Begründungen werden angeführt und welche Rückschlüsse lassen diese auf Identitätskonstruktionen zu? Wer versteht sich als Erbe(n) und welche Gruppen bleiben ausgeschlossen?

– Wie wird mit Industrieerbe und den sie prägenden Landschaften umgegangen und welche Formen des materiellen, ökonomischen und sozialen Erhalts werden gepflegt?

– Wie können die Schattenseiten industriellen Kulturerbes (Naturzerstörungen, soziale Ausbeutung u.a., etc.) mitgedacht und nicht nur Denkmale der Vergangenheit, sondern auch Mahnmale für Gegenwart und Zukunft gestaltet werden?

– Wie könnte Erbe- und Denkmalpflege sich auf eine globale Erbengemeinschaft in der Risikogesellschaft beziehen?

– Wie kann mit Kulturerbe das Bewusstsein für globale Zusammenhänge geschaffen werden? Wie könnte gegenwärtig und zukünftig das Erbe des hochindustriellen Zeitalters verhandelt werden?

– Welches Potential steckt in der Auseinandersetzung mit Industrie-Erbe-Landschaften im Spiegel globaler Ungerechtigkeit?

Wir suchen Fallstudien und Beiträge von ForscherInnen, KünstlerInnen und AkteurInnen aus der Praxis, die sich mit den dargelegten Fragen und Thesen kritisch auseinandersetzen. Wir streben einen aktiven Austausch unter den Teilnehmenden an und freuen uns über Beiträge aus unterschiedlichen Fachgebieten.

Die Beiträge sollen 20min Redezeit nicht überschreiten. Abstracts mit max. 300 Wörtern sowie ein kurzer CV werden bis zum 19. Juni 2017 erbeten an: cfp[at]identitaet-und-erbe.org, Simone Bogner.

Reisekostenzuschüsse können begrenzt gewährt werden.

Den CFP als PDF und weitere Informationen zum Graduiertenkolleg finden Sie hier