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Berlin: Von der Friedrichstrassen-Passage zum „Tacheles“ – eine frühe „Mall“ und ihre wechselvolle Geschichte- Fotoausstellung im Deutschen Technikmuseum

Architektonische Spielerei im Passage-Kaufhaus, 1908. Blick aus dem Kuppelraum in den Passage-Arm Richtung Oranienburger Straße auf die zweistöckige "Rialto"-Brücke. [1]

Er war einer der ersten und spektakulärsten Stahlbetonbauten Berlins: Der Passagenbau mit Kuppel an der Berliner Friedrichstrasse …

Bekannt geworden ist sie als wilde und wild umkämpfte Ruine namens „Tacheles“, erbaut wurde sie als Konsumpalast: die Friedrichstraßen-Passage in Berlin-Mitte. Das Deutsche Technikmuseum in Berlin zeigt ab dem 12. Oktober erstmalig großformatige Originalaufnahmen der Passage, die 1908 von dem Berliner Fotografen Franz Kullrich (1864-1917) angefertigt wurden. Sie dokumentieren die Architektur des Passage-Kaufhauses direkt nach dessen Fertigstellung. Ergänzt wird die Ausstellung „Vom Kaufhaus zum Tacheles: Fotografien der Friedrichstraßen-Passage in Berlin“ durch Aufnahmen aus späterer Zeit, als die Passage als Showroom für die Produktpalette der AEG diente, und durch Bilder von Andreas Rost, der das Kunsthaus Tacheles in den frühen 1990er Jahren fotografierte. Insgesamt werden in der Galerie Fototechnik des Museums 30 Fotografien gezeigt. Kuratiert wurde die Ausstellung von Museumsmitarbeiterin Justine Czerniak.

Eleganter Konsumpalast

Die Friedrichstraßen-Passage war bei ihrer Fertigstellung in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts eine der letzten großen Passagen Europas. Der fünfgeschossige Monumentalbau zwischen Friedrichstraße und Oranienburger Straße beeindruckte in vielerlei Hinsicht: Die Gebäudegrundfläche umfasste rund 10.000 Quadratmeter, die Passagenlänge betrug etwa 150 Meter und der 48 Meter hohe zentrale Kuppelraum maß 28 Meter im Durchmesser.

Kullrichs Bilder setzen das Kaufhaus als Palast des Konsums in Szene: Der zentrale Kuppelraum wird durch eine klassische Rotunden-Konstruktion mit unzähligen kleinen Glasfenstern gekrönt. Das von oben hereinfallende Licht verleiht dem Raum eine besonders elegante Atmosphäre, Palmen bereichern das Flair um einen Hauch von Exotik. Lange Passagen gewähren den Blick in schier endlose mehrstöckige Gänge mit luxuriös anmutenden Schaufenstern und kostbarem Bodenbelag. Spielereien wie die zweistöckige „Rialto-Brücke“ verbinden einzelne Teile des Kaufhauses miteinander. Neuartig und viel beachtet war vor allem der für die Konstruktion verwendete Werkstoff: Stahlbeton, das Baumaterial des neuen Jahrhunderts. Die Inneneinrichtung mit Mosaiken, Mahagoniholz und Marmor war edel, die Technik innovativ: Über die größte Rohrpostanlage Europas bedienten 150 Einzelkassen eine Zentralkasse.

Showroom für die AEG

Von 1928 bis 1945 diente der monumentale Baukomplex unter dem Namen „Haus der Technik“ der AEG als Ausstellungs- und Verkaufsraum für ihre Produktpalette. Die „Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft“ war zu jener Zeit einer der größten Elektrokonzerne weltweit. Der günstig in der Stadt gelegene Monumentalbau bot der AEG die Möglichkeit, Ausstellung, Verkauf und Vertrieb an zentraler Stelle zu konzentrieren und einen Anlaufpunkt für den Markt der Berliner Elektroindustrie zu schaffen. Die Besucherinnen und Besucher sollten einen möglichst umfassenden Überblick über die Bandbreite des Angebots erhalten.

Architektonisch wurde die Passage bereits 1924 neu gestaltet – die Decke wurde bis auf die Höhe der Ladengeschäfte abgehängt. Diese Stahl Glas-Konstruktion veränderte den Charakter der Passage vollständig. Die einstige Pracht war nur noch im Kuppelraum und an der Außenfassade zu erahnen. Auch aus jener Zeit werden in der Ausstellung einige Fotografien gezeigt.

Umkämpfte Ruine: das Kunsthaus Tacheles

Heute ist die Erinnerung an das ehemalige Passage-Kaufhaus geprägt durch die Nutzung seiner Ruine als Kunsthaus Tacheles in den wilden Nachwendejahren. Infolge von Kriegs- und Nachkriegsschäden wurde Anfang der 1980er Jahren der größte Teil des Gebäudes abgerissen. Im April 1990 sollte der noch verbliebene Bauteil folgen. Kurz zuvor, am 13. Februar, besetzten Künstler das letzte erhaltene Fragment des historischen Gebäudes, tauften es „Tacheles“ und verhinderten mit der Besetzung seine Sprengung. Seit 1990 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Derzeit wird die berühmte Ruine in begehrter Lage in ein umfassendes Bauvorhaben integriert. Eine weitere kulturelle Nutzung ist in der Denkmalakte festgeschrieben. Bis zur Räumung 2012 war das Tacheles ein Ort für kulturelle Veranstaltungen und Zentrum avantgardistisch-experimenteller Kunstprojekte mit überregionaler Ausstrahlung. Der Berliner Fotograf Andreas Rost (*1966), Mitbesetzer der ersten Stunde, hat die Ruine zwischen 1990 und 1992 mit seiner Kamera festgehalten. Seine stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Fotografien ergänzen kongenial die Aufnahmen Kullrichs in der Ausstellung. Hier und da sind auf den Fotografien noch Spuren des eleganten Passage-Kaufhauses zu entdecken – etwa die steinernen Figuren, die den Eingang an der Oranienburger Straße flankieren. Andere Orte sind in ihrer ursprünglichen Funktion kaum noch zu erkennen.

In der Ausstellung ist auch ein 20-minütiger Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm „Aufgestanden in Ruinen“ (1992) von Klaus Tuschen zu sehen, der die wechselvolle Geschichte des Gebäudes lebendig werden lässt.

Vom Kaufhaus zum Tacheles – Fotografien der Friedrichstraßen-Passage in Berlin [2]

Sonderausstellung | Laufzeit: 12. Oktober 2016 bis 04. April 2017 |
Deutsches Technikmuseum | Trebbiner Str. 9 | 10963 Berlin |
Beamtenhaus: 2. OG, Galerie in der Fototechnik-Ausstellung |
Di-Fr: 9-17:30 Uhr | Sa, So, Feiertage: 10-18 Uhr | Montag geschlossen |