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Hattingen/Düsseldorf: Neues zum Thema „Rüstungsindustrie im Rheinland“

Unter dem Titel „Stahl und Moral“ verbindet der Standort Hattingen des LWL-Industriemuseums derzeit in einer Sonderausstellung [1] die beiden „runden“ Jahrestage: 100 Jahre Ausbruch des Ersten, 75 des Zweiten Weltkrieges. Auf 125 Jahre Konzerngeschichte blickt das Düsseldorfer Unternehmen Rheinmetall in einer umfangreichen, zweibändigen Veröffentlichung zurück…

Zur Zeit ist das Thema Rüstung in aller Munde. Sollen Waffen an die Kurden im Irak geliefert werden, könnte man nicht die Ukraine mit Militärgütern beim Kampf gegen die Separatisten unterstützen?

Die Ausstellung „ Stahl und Moral – Die Henrichshütte im Krieg 1914-1945“

– noch bis zum 9. November 2014

Stahl und Moral – passt das zusammen? Diese Frage stellt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in der neuen Ausstellung in seinem Industriemuseum Henrichshütte Hattingen. 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten und 75 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs blickt das LWL-Museum auf die Geschichte der Hütte als Rüstungsbetrieb zurück. Moralische und technische Deutungen werden einander gegenüber gestellt. Die Schau, die zum Großteil in der ehemaligen Geschossfabrik der Hütte gezeigt wird, ist bis zum 9. November zu sehen und wird von zahlreichen Veranstaltungen begleitet.

„Stahl und Moral“ verfolgt die Geschichte der Rüstungsproduktion der Henrichshütte von den Anfängen über zwei verheerende Weltkriege bis in die Nachkriegszeit. Großexponate wie Panzer und Granaten zeichnen die Produktpalette der Henrichshütte nach. Großformatige Fotos, Zitate und viele Erinnerungsstücke ergänzen die Ausstellung. Dabei ist die Ausstellung von Gegensätzen geprägt: der aufragende Hochofen und die tiefen Luftschutzräume, Zwangsarbeiter und Werkschutz, Tod und Barmherzigkeit. „Die Exponate lösen meist beides aus: technische Faszination und moralische Fragen. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, keine Antworten zu geben, denn die Perspektiven wechseln oder verändern sich: So ist Panzerstahl heute etwa ein gesuchtes Ausgangsprodukt für hochwertige Taschenmesser oder Werkzeuge“, erklärte Dr. Olaf Schmidt-Rutsch vom LWL-Industriemuseum, am Donnerstag (8.5.) bei der Vorstellung der Ausstellung in Hattingen. „Wir wollen Fragen aufwerfen, und die Gäste sollen mögliche Antworten selber finden.“

Die Schau in der Henrichshütte ist ein Beitrag zum Themenjahr „Unterwelten“, das das LWL- Industriemuseum an seinen acht Standorten ausgerufen hat. Die Hauptausstellung auf der Zeche Zollern in Dortmund mit dem Titel „Über Unterwelten. Zeichen und Zauber des anderen Raums“ beleuchtet Mythos und Realität der Welt jenseits des Sichtbaren. Das Spektrum der weiteren Begleitausstellungen reicht von versunkenen Schiffen über Dessous in der Mode bis hin zu jugendlichen Subkulturen im Ruhrgebiet. „Es war genau dieses Vielseitigkeit des Themas ‚Unterwelten‘, das uns gereizt hat. Es bietet ganz unterschiedliche Zugänge und inspiriert Ausstellungsmacher ebenso wie Künstler, Studierende und Schüler. Das zeigen unsere Präsentationen in diesem Jahr sehr eindrucksvoll“, so Dirk Zache, Direktor des LWL-Industriemuseums. Alle Information hier [2].

Hintergrund

Die Geschichte der Henrichshütte als Rüstungsbetrieb ist Thema in der ehemaligen Geschossfabrik. Granaten für die „dicke Bertha“, U-Bootbleche und Panzerteile kamen von der Hütte. Trotzdem erlebte die Hütte bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs einen Einbruch, da die Mitarbeiter an die Front gingen und daher die Öfen nicht produzieren konnten. Kriegsgefangene und Frauen sollten die Lücke schließen. Im Zweiten Weltkrieg war das Werk besser vorbereitet und schon vor Ausbruch auf Rüstungsproduktion umgestellt. Stand 1932 noch die Schließung im Raum, so wurden in den Folgejahren die Betriebe erweitert. Jeder vierte Panther-Panzerkampfwagen hatte ein Gehäuse aus Hattingen. Daran erinnert in der Ausstellung ein zerschossenes Panther-Gehäuse. 1940 fielen die ersten Bomben auf die Henrichshütte. Bei Kriegsende war das Gelände zu einem Drittel zerstört. Trotz der drohenden Demontage nahmen nach und nach die einzelnen Betriebe die Arbeit wieder auf.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg produzierte die Henrichshütte für die Rüstung. Im Zuge der Wiederbewaffnung wurde hier der Panzer HS30 gebaut, der sich durch technische Mängel und undurchsichtige Vergaben zu einem Rüstungsskandal entwickelte.

Die Henrichshütte steht nicht isoliert. Die erste Abteilung bindet die Geschichte Hattingens mit ein. „Wir verfolgen die Spur von Gewalt und Krieg durch 4.000 Jahre Geschichte“, so LWL-Museumsleiter Robert Laube. „Besonders freuen wir uns dabei über die breite Unterstützung nicht nur von Einrichtungen der Stadt, sondern auch von privaten Leihgebern.“ Dabei sind auch überraschende Ausstellungsstücke in die Schau gelangt wie der Orden aus einem Granatsplitter, mit dem der Eisengießer Otto Friedrich im Ersten Weltkrieg verletzt wurde. „Er wird in der Familie zusammen mit Friedrichs Eisernem Kreuz aufbewahrt“, erklärt Laube.

Das Museum sucht auch weiterhin nach solchen Stücken und den Geschichten dazu. Kuratorin Sonja Meßling: „Die Ausstellung soll wachsen. Jeder kann etwas dazu beitragen.“ Auch Schulen, die „Stahl und Moral“ besuchen, machen mit. „Uns ist es wichtig, in der Ausstellung einen Bezug zur Lebenswirklichkeit der Schüler zu finden.“ Jede Klasse kann ihre Gedanken zum Thema Luftschutz in die Schau einbringen. Die Ergebnisse werden in der Ausstellung präsentiert.

Vortrag zum „HS 30“ im LWL-Industriemuseum am 12. September: Ein Schützenpanzer von der Henrichshütte

Vor rund 60 Jahren war dieses Thema aus ganz anderen Gründen auf der Tagesordnung. Mitten im Wirtschaftswunder der 1950er Jahre sollte die Bundesrepublik Deutschland 500.000 Mann starke Streitkräfte als Beitrag für die NATO-Verteidigung in Mitteleuropa aufstellen. Die Soldaten mussten mit militärischem Material ausgestattet werden. Der Panzer HS 30 spielte dabei eine skandalträchtige Rolle. Welche, das erläutert Dieter H. Kollmer vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in einem Vortrag am Freitag, 12. September, auf der Henrichshütte Hattingen. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) lädt dazu um 19.30 Uhr in sein Industriemuseum ein. Der Eintritt ist frei.

Das Verteidigungsministerium bestellte bei dem Genfer Unternehmen Hispano Suiza 10.680 Exemplare des noch nicht fertig entwickelten Schützenpanzers HS 30. Später wurde das Fahrzeug auch von der Ruhrstahl Henrichshütte gefertigt. Ein Exemplar dieses Schützenpanzers ist derzeit in der Sonderausstellung „Stahl und Moral – Die Henrichshütte 1914-1945“ zu sehen, um darzustellen, dass die Rüstungsgeschichte der Hütte nach 1945 keineswegs zu Ende war. Warum dieses Fahrzeug des im Panzerbau vollkommen unerfahrenen Schweizer Herstellers beschafft wurde und welche Auswirkungen dies auf die Rüstung in Westdeutschland hatte, erklärt Dieter H. Kollmer in seinem Vortrag.

Freitag, 12. September 2014, 19.30 Uhr

LWL-Industriemuseum Henrichshütte Hattingen
Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur
Werksstr. 31-33, 45527 Hattingen

 

Publikation: 125 Jahre Rheinmetall – Geschichte der Wirtschaft und Technologie

Reizvoll fand Heinrich Ehrhardt, der thüringische Unternehmer,die Idee, »auch im Rheinland ein großes Werk zu errichten«. Der Name damals: Rheinische Metallwaaren- und Maschinenfabrik. Was 1889 in Düsseldorf als waghalsiges Experiment im Geiste gründerzeitlicher Entrepreneurship begann, ist heute, 125 Jahre später, einer der großen, weltweit agierenden Technologiekonzerne Deutschlands: die Rheinmetall AG.

Diese Entwicklung war nicht immer eine geradlinige Erfolgsgeschichte, sie kannte auch Um- und Irrwege. Keiner blieb dem Wirtschaftshistoriker und Rheinmetall-Unternehmensarchivar Dr. Christian Leitzbach verborgen. Detailliert zeichnet er das Porträt eines Unternehmens, das sich wie ein Spiegel der bewegten deutschen Gesellschaftsgeschichte liest. Eine ungewöhnlich »auskunftsfreudige« Firmengeschichte aus einer weithin eher verschwiegenen Branche.

Rheinmetall [3]

Christian Leitzbach:
Rheinmetall. Vom Reiz, im Rheinland ein großes Werk zu errichten
Greven Verlag, Köln [4]
978-3-7743-0641-7
49.90 Euro