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Leipzig: 125 Jahre Baumwollspinnerei in Plagwitz – vom Textil- zum Kunstzentrum

Gründungstag der Leipziger Baumwollspinnerei Aktiengesellschaft ist der 21. Juni 1884. Konzipiert werden sollte eine große deutsche Spinnerei für kräftigere Garnstärken in den Nummern bis 45er. Die Importgröße dieser Garne war so groß, daß zu deren Herstellung allein 500.000 Spindeln benötigt würden. Feinere Garnstärken der Nummern von 50er aufwärts konnten von den großen englischen Spinnereien zu niedrigen Zollsätzen auf den europäischen Markt geworfen werden.

Für insgesamt 123.200 Mk erwarb die Gesellschaft noch 1884 das 59.000 qm große Areal längs der alten Salzstraße von Dr. Karl Heine, dem Entwickler des Leipziger Westens. Mit fünf Spinnstühlen wurde noch 1884 die Produktion aufgenommen, bereits im März 1885 stand die I. Spinnerei mit 30.000 Selfaktorspindeln in voller Produktion. 1888 wurde die zweite Spinnerei gebaut und mit 50 Selfaktor- und 20 Ringspinnmaschinen mit insgesamt 74.000 Spindeln in Betrieb genommen. 1886 war der Anschluß an die Bremer Baumwollbörse erfolgt. Gebaut waren inzwischen das erste Kontorgebäude und das erste Arbeiterwohnhaus in der Thüringer Straße Nr. 10. Betrieben wurde die II. Spinnerei über eine Dampfmaschine von 1000 PS.1889 begab man sich mit dem Bau der III. Spinnerei zur Produktion von hochwertigen gekämmter Garne in feinen Nummern mit insgesamt 76.000 Spindeln und einer großen Anzahl von Kämmmaschinen in die Konkurrenz mit den großen englischen und schweizer Spinnereien.

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Die Dividende der Aktionäre hatte sich von anfangs 5% auf inzwischen 10% verdoppelt. Ab 1893 konnte kontinuierlich eine Dividende von 14% ausgezahlt werden. Mit der Produktion wuchs auch die Zahl der Menschen in der Spinnerei. Arbeiten in der Baumwollspinnerei hieß letztlich auch dort leben. So arbeiteten die Männer ca. 14 Stunden und die Frauen ca. 11 Stunden am Tag.Das nähere Umfeld der Spinnerei wurde Piependorf genannt. Die Frauen trugen alle Schürzen, lange Röcke und viele Kämme im Haar. Gegen Morgen, nach Austragung von etlichen Faustkämpfen, gab es dann "Kranke" und "Verletzte". Eine stichhaltige Begründung zum "Blaumachen" war also gegeben. Wie gesagt, es war ja alles so billig. In den Mittagspausen, in welchen beim Pfeifer-Louis auch oft getanzt wurde, und zum Feierabend standen am Eingang zur Spinnerei die Straßenhändler und boten Apfelsinen, Bücklinge, oder auch Gipsfiguren und Textilien feil; es war alles da. Der Freitag war der große Tag. Mittags bekamen die Frauen ihren Lohn, zum Feierabend die Männer. Da wurde "gelebt". Mittags lachten der Bäcker und der Obsthändler, am Abend die Gastwirte. Sonnabends hatte die Kantine die Ehre. Für ein Mark bekam man die halbe Welt.

Die Piependorfer Eingeborenen lebten wie eine große Familie, keiner war reicher, keiner war ärmer als der andere. Sie vermehrten sich, rauften auch manchmal und standen vom Freitag bis Sonntag unter dem Einfluß des Alkohols. Die Gegend war in Leipzig berüchtigt und deshalb gemieden. Nur die Friedhofsbesucher kamen und gingen. Wer Sonntags ausging nach der inneren Stadt, der mußte sozusagen Spießrutenlaufen. In der Thüringer-Straße lugten tausend Augen, vom gewaltigen Betriebskrankenkassenmann Scheer bis zur letzten Hausfrau. Man mußte doch sehen, was die Vorübergehenden auf dem Leibe hatten. Ich sagte schon, es war eine ärmliche Welt. Die Romantik war geringer Natur, die Poesie kümmerlich. Und doch sah und hörte der Aufmerksame soviel, als er zu einem ganzen Roman brauchte. Es war ja doch der Abglanz der großen Welt von draußen. Bis 1899 waren ein Kindergarten und weitere Arbeiterwohnhäuser entstanden. Eine 21 Mann starke Musikkapelle und der "Männerchor Frohsinn" wurden ins Leben gerufen und werden gerne zu betrieblichen Gelegenheiten herangezogen. 1903 setzt ein Streik den 10 Stunden Arbeitstag durch. Im Jahre 1907 startete in Deutsch-Ostafrika das ehrgeizige Unternehmen eigene Baumwolle zu produzieren. Unter dem Namen "Leipziger Baumwollspinnerei-Pflanzungen Cherhami bei Sadami und Kissanke am Wami" wurden bis zum ersten Weltkrieg auf rund 30.000 Hektar Baumwolle angepflanzt. Mit dem Jahr 1909 ist das erste Vierteljahrhundert in der Entwicklung der Leipziger Baumwollspinnerei erreicht. Die Leitung hat es verstanden, mit dem stürmischen Tempo der Industrieausbreitung in den Gründerjahren Schritt zu halten und das Werk innerhalb 25 Jahren zur größten Baumwollspinnerei des Kontinents zu entwickeln.

Weitere Einblicke in die Historie der Spinnerei erhalten Sie im archiv massiv. Besuchen Sie uns gerne im Gebäude 20 der Spinnerei, Eingang 20 A, Dienstag bis Samstag  von 11.00 bis 18.00 Uhr.

Das eigentliche Fabrikgelände der Spinnerei mutet regelrecht wie eine kleine Fabrikstadt an. Es handelt sich um eine geschlossene Quartierbebauung auf rd. 6 ha. Größe. Die Spinnerei ist eingegrenzt durch die Spinnereistrasse, die Thüringer Str., die alte Salzstrasse und die Saalfelder Strasse. Das Fabrikgelände zeigt sich nach Außen verschlossen und ist im Inneren bestanden mit 20 Einzelgebäuden. Neben den vier ehemaligen großen Spinnereien, heute die Hallen 7, 14, 18 und 20, gibt es weitere 16 ehemalige Funktionsgebäude. Von ursprünglichen 24 Gebäuden sind diese noch erhalten. Fast alle Gebäude wurden als sehr massive Backsteinbauten errichtet. Die Bruttogeschossfläche des Areals beträgt rund 100.000 qm.

Der sehr werthaltig entstandenen Substanz ist es zu verdanken, dass man die Spinnerei in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt schonend sanieren und wiederbeleben konnte. Oft geht es sogar mehr ums konservieren als ums sanieren. Ein wichtiges Anliegen des Sanierungszieles sei es, möglichst viel zu bewahren und trotzdem gute Bedingungen für die neuen Mieter zu schaffen.

Quelle: Website www.spinnerei.de [1]