Industriekultur

Magazin für Denkmalpflege, Landschaft, Sozial-, Umwelt- und Technikgeschichte

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Thomas Dempwolf: Die biologische Kläranlage auf dem Rangierbahnhof Wustermark

Fast 90 Jahre lang versah die Anlage ihren Dienst in ursprünglicher Anordnung und Technik. Stillgelegt wurde sie erst im Jahr 2000. Die historische Klärtechnik untersuchte ein Seminar von Studentinnen und Studenten des Studienganges Restaurierung von technischem Kulturgut der FHTW-Berlin im Wintersemester 2005/2006. Der Bestand wurde aufgenommen, der Zustand untersucht, in Quellen der Technikgeschichte geforscht, ehemalige Beschäftigte interviewt und erste Gedanken über eine mögliche Form von Erhalt und Präsentation entwickelt.

Die Kläranlage befindet sich am äußersten westlichen Rand des 3,4 Kilometer langen Bahnarreals. Die in den historischen Bahnhofsplänen dargestellten Einrichtungen sind weitgehend erhalten: Öl- und Fettabscheider, Rechen, Sandfänge, Pumpenhaus, zwei ´Kremer-Brunnen´, in denen die festen Bestandteile abgesondert wurden, zwei Schlammbecken zu deren Trocknung, drei runde Tropfkörper aus Schlacke, in denen die flüssigen Bestandteile biologisch gereinigt wurden und zwei Nachklärbecken. Hatte das Wasser diese letzte Station passiert galt es als sauber und wurde in den Wassergraben des umgebenden Luchs gepumpt.

Diese Anlage wurde stillgelegt, aber nicht beräumt, es sieht aus als seien die Mitarbeiter einfach nicht mehr zur Arbeit gekommen. In den Hochbrunnen steht Abwasser, Öl- und Fettabscheider, Sandfang und Trockenbecken sind mit nicht geklärter Substanz gefüllt. Während die Bausubstanz noch vorhanden ist, wurden die leicht entfernbaren und einträglichen Bestandteile bereits entwendet. Zum Beispiel die Technik des achteckigen Pumpenhauses in Pavillonbauweise. Hier befindet sich der 7 Meter tiefe Sammelbrunnen. Er wurde von drei Kreiselpumpen und später zusätzlich von einer Tauchpumpe geleert. Bei Normalwasser schaltete sich ungefähr jede viertel Stunde die erste Pumpe ein. Alle Pumpen wurden durch Schwimmer im Sammelbrunnen gesteuert. Die vierte Pumpe schaltete sicherst ein, wenn ein Überlaufen des Brunnens nahe war. Etliche Male sind die Pumpen überflutet worden, heißt es in Berichten ehemaliger Beschäftigter, so dass sie demontiert und über Wochen getrocknet werden mussten. Gestohlen wurden auch die gusseisernen Spindeltreppen, über die man auf die ´Kremer-Brunnen´ gelangen konnte.

Diese zylindrische Hochbrunnen sind aus Beton gegossen und mit Klinkerbausteinen verkleidet. Nach oben sind sie offen. In der Mitte des Beckens sitzt ein Zylinder aus Beton, mit Rinnen, Röhren und Überläufen in verschiedenen Höhen. Über einem mit Flüssigkeit gefüllten und von Algen überwucherten Becken verläuft eine Arbeitsplattform aus Holz und Geländern aus Stahl.

Nach Angaben ehemaliger Beschäftigter1 befindet sich im unteren Teil der Klärbrunnen der Faulraum, in dem die Feststoffe ausfaulen. In Abständen wurde der Klärschlamm in die Trockenbeete, welche mit einem Kiesbett zur Drainage versehen waren, gefördert. Hier trocknete der Schlamm wetterbedingt mindestens 1 Woche und wurde erst nach vollständiger Durchtrocknung zusammengeschoben und in Waggons geladen.

Das von den gröbsten Verunreinigungen vorgeklärte Wasser wurde über Drehsprinkler auf die Tropfkörper aus Hochofengestein verrieselt. Erhalten sind drei von vier Tropfkörpern mit den Drehsprinklern aus Gusseisen, kunstvoll aufgeschichteter Schlacke nur lose gehalten von einem Gurt.

Die Umgebung

Die Notwendigkeit zur Errichtung einer Kläranlage wird an den benachbarten technischen Einrichtungen des Verschiebebahnhofs deutlich. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich die Entseuchungsanlage, die Wagenwäsche, wo früher die Eisenbahnwaggons der Viehtransporte für die Berliner Schlachthöfe gereinigt und später die Fett- und Ölrückstände der Kesselwagen entsorgt wurden. Der benötigte Dampf, bzw. das heiße Wasser, wurden im dazugehörigen Kesselhaus erzeugt. Das Abwasser floss über leichtes Gefälle in Rinnen rechts und links der Gleise und dann der Kläranlage zu. Aus der anderen Richtung wurden die Abwässer des Bahnbetriebswerkes und aus den Häusern der Lokführer und leitenden Angestellten der benachbarten Eisenbahnersiedlung Elstal zugeführt. In der Kläranlage und in der angrenzenden Wagenwäsche arbeiteten größtenteils ungelernte Arbeitskräfte.

Die Geschichte der Anlage

Die ersten Pläne für eine biologische Kläranlage in Wustermark mit Kremer-Brunnen stammen aus der Bauzeit des Verschiebebahnhofs im Jahre 1908. Doch als der Bahnhof am 1. Mai 1909 in Betrieb ging, war der Plan noch nicht verwirklicht worden. Im Jahr 1912 begann der Bau und wurde erst 1918 beendet. Die Anlage wurde jedoch nicht nach den bekannten Plänen gebaut: Die Tropfkörper waren nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen eingehaust sondern freibewittert; die Kremerbrunnen besaßen keinen viereckigen Grundriss (3m x 5m) mehr, sondern wurden zylindrisch ausgeführt.2 Da die Kremerbrunnen speziell für die Reinigung des Abwassers von ölhaltigen Verschmutzungen ausgelegt sind, würde sich deren Anwendung auf einem Verschiebebahnhof (Waschung der Bahnwaggons) anbieten, so daß der kreisförmige Grundriß evtl. eine Weiterentwicklung darstellt.  

Das „Kremersche Klärverfahren mit Fettgewinnung“ entwickelte sich aus den „Kremerschen Fettfängern“.3 Kremerbrunnen dienten oft als Vorklärung vor biologischen Anlagen und da das Wasser ungefault auf die Tropfkörper gelangt, tritt auch kaum Geruchsbelästigung auf.4 Die Kombination von Kremer-Brunnen und Tropfkörpern stellte eine bewährte Methode dar, war aber zu dem damaligen Zeitpunkt noch eine moderne Verknüpfung.

Ursachen des Erhalts

In den öffentlichen schriftlichen Unterlagen ist die Wustermarker Anlage nicht aufgelistet. Die Lage der Anlage auf dem Betriebsgelände der Bahn als autarke Einrichtung zur Reinigung des Abwassers und nicht zuletzt die Produktionsbedingungen in der DDR, sind die wahrscheinliche Ursache für den Erhalt der Anlage in diesem Zustand. Auf der Suche nach erhaltenen frühen biologischen Kläranlagen stießen die Seminarteilnehmer auf nur eine ältere in Deutschland: Die mechanische Kläranlage in Kaditz/Dresden, die 1910 mit Siebscheiben in Betrieb genommen wurde. Sie ist aber bis heute mehrmals modernisiert worden. Es stellte sich die Frage, ob die Wustermarker Anlage insgesamt die älteste und vielleicht auch einzige erhaltene (biologische) Kläranlage aus der „ersten Epoche“ der Klärtechnik in Deutschland ist.

Auf der Suche nach Konzepten

Bei der Diskussion um die Stärken des Objekts für eine heutige Nutzung fiel den Seminarteilnehmer(inne)n vor allem die Eignung als Anschauungsobjekt der Umweltbildung auf. In dieser einfach aufgebauten Kläranlage lässt sich der Weg des Abwassers durch die einzelnen Stationen des Klärprozesses gut verfolgen und Besuchern vermitteln. Die Anlage eignet sich im Besonderen zur Thematisierung der Problematik der schwindenden Ressource Wasser in der Industriegesellschaft. Die Eingebundenheit in die einst autarke Bahnanlage und die unmittelbare Nachbarschaft zur Entseuchungsanlage und Wagenwäsche verleihen diesem technischen Denkmal eine besonders hohe Authentizität.

In ersten Diskussionen der Seminarteilnehmerinnen und –teilnehmer über die Möglichkeiten einer öffentlichen Präsentation, wurde die Idee entwickelt, die Anlage über einen Rundweg begehbar zu machen: Angefangen bei der Wagenwäsche, wo die Problematik des Abwassers, der Zusammenhang mit der Versorgung der Großstadt Berlin und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten thematisiert werden könnten, über die einzelnen Stationen des Klärprozesses bis hin zu den Pflanzen, die sich nach Stilllegung der Anlage angesiedelt haben.

Für diesen Konzept hielt das Seminar ein Restaurierungskonzept für ausreichend, in dem die konservatorischen Eingriffe auf ein Minimum zum Erhalt der Substanz der Anlage beschränkt werden sollten, so z.B. auf Sicherung von salzbelastetem Mauerwerk und korrodierendem Eisen und eine Ausdünnung des Wildwuchses an Pflanzen, da sie die Anlage teilweise überwuchern.

 Ob dieses außergewöhnliche Denkmal für die Entwicklung der Umwelttechnik erhalten werden kann, hängt vom Willen der Deutschen Bahn AG und der Initiative der Gemeinde Wustermark ab. Entweder wird der Bahnhof zu den Feierlichkeiten seines 100-jähriges Bestehens im kommenden Jahr mit Tüchern verhängt, oder es übernimmt jemand noch rechtzeitig die Verantwortung.

Die Seminarteilnehmer(innen) aus dem Studiengang zur Restaurierung von technischem Kulturgut: Maxie Berlin, Oliver Brandt, Philipp Hann, Sebastian Karp, Oliver Schach, Jessica Stockhorst

Dozent: Thomas Dempwolf (Dipl.-Restaurator)

Kontakt: DempwolfThomas@aol.com

FH für Technik und Wirtschaft, Berlin: www.f5.fhtw-berlin.de/krg/

Ansprechpartner Restaurierung von technischem Kulturgut:Prof. Ruth Keller-Kempas, M.A.Campus WilhelminenhofGebäude A2, Raum 511Wilhelminenhofstr. 75A12459 BerlinTel.: 030 / 5019-4258


 Anmerkungen

1) Interview von Oliver Brandt und Phillip Hann mit Herrn Schlums, ehemaliger Leiter des Schienennetzes Bahnhof Wustermark, sowie Herrn Dzialek, ehem. Leiter des Betriebswerks Wustermark, 26.01.2006.

2) SALOMON, Dr. Hermann, Die städtische Abwässerbeseitigung in Deutschland, Band II, Jena 1907, S. 200.; Grundriss vgl. BACH, Hermann: Die Abwasserreinigung, München 1927, S. 62, S. 75.

3) SALOMON 1907, S. 204.

4) SALOMON 1907, S. 205.

5) Abbildung aus BEDESCHINSKI, NEDDERMEYER: Der Rangierbahnhof Wustermark und die Eisenbahnersiedlung Elstal, Berlin 2004, S. 42

 

Abbildungen (in Bearbeitung)

 

 

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1 a+b. Die ´Kremer-Brunnen´, Ansicht (Fotos: Christian Bedeschinsky, Berlin, 1999; aus: Bedeschinski/Neddermeyer 2004)

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2. Plan der Kläranlage Wustermark
Das Abwasser fließt über einen Rechen (1) und die Kanäle aus Richtung Betriebswerk und Eisenbahnersiedlung, wird über das Pumpenhaus mit Sandfang (2) in die zwei Kremerbrunnen (3) verteilt, die Schwebstoffe gelangen in die beiden dazu gehörigen Schlammbecken. Das vorgereinigte Wasser wird, bevor es in das Nachklärbecken (5) gelangt, in den drei (ehemals vier) Tropfkörpern (4) biologisch aufbereitet.5

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3. Westlicher Kremerbrunnen von oben
Auf dem Brunnen liegt eine Wartungsbühne aus vier beplankten I- Trägern mit Geländer. Die Träger sind stabil, einige Bretter fehlen, die meisten sind morsch. Die Beschichtung des Betonkörpers blättert teilweise ab, die Rinnen sind bemoost. Die Zeichnungen geben schematisch den inneren Aufbau des Kremerbrunnens wieder.

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4. Aufsicht auf Kremerbrunnen
Mauerwerk (1), Sammelrinne aus Beton (2), Tauchwand aus Stahlprofilen und Holz (3), Absetzraum (4), Verteilungsrinne vermutlich aus Steinzeug(5), Schlammablassrohr (6), Zulauf (7), Ablauf (8)

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5. Querschnitt / Ansicht
Der Boden konnte nicht genau ausgelotet, aber eine Kegelform konnte ermittelt werden. Rechts erkennt man den umlaufenden Sims an der Außenseite. Seine Unterkante markiert in etwa den Wasserstand (9). Betonzylinder verklinkert (10)

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6. Einblick in den westlichen Kremerbrunnen
Der Brunnen ist mit Wasser gefüllt, das starkes Algenwachstum aufweist und stinkt. Im Wasser befinden sich, neben einem Objektivdeckel, abgestürzte Teile der Bühne.

Farbfotos und Skizzen: Oliver Brand, Sebastian Karp