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Sven Bardua: Viel Aufwand im Untergrund der Landeshauptstadt Schwerin

In der mecklenburgischen Landeshauptstadt Schwerin ist damit vor mehr als 100 Jahren begonnen worden. Alte Kanäle, Pumpwerke, die Gebäude einer Kläranlage und etliche Museumsstücke erinnern an die Tradition der Schweriner Abwasser-Entsorgung (SAE), einem Eigenbetrieb der Stadt. Oft nutzte er moderne Technik, sehr oft profitierte er aber auch von der Initiative der Beschäftigten.

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Vier Meter unter der Bornhövedstraße liegt ein etwa 100 Jahre alter Hauptsammler mit einer Höhe von 1,80 Metern. Von links kommt Schmutzwasser aus einem Kanalrohr der Robert-Koch-Straße. Über eine mobile Kanalleiter kommen die Beschäftigten – wie Gunnar Wendt (im Bild) – herunter.

Ende des 19. Jahrhunderts musste Schwerin handeln. Damit die Gewässer sauber blieben und ein einwandfreies Trinkwasser zur Verfügung stehen konnte, organisierte sie die Entsorgung neu. Denn Spülwasser und Ausscheidungen von Mensch und Tier versickerten im Boden oder wurden über Rinnsteine in benachbarte Gewässer abgeleitet. Seewasser und mit Handpumpen gefördertes Grundwasser aus geringer Tiefe diente damals ungefiltert auch als Trinkwasser – für die Hygiene fatal. Der Bau des ersten Abwasser-Sammlers 1887 vom Schelfmarkt zum Ziegelsee war deshalb ein großer Fortschritt. Fünf Jahre später waren an die neue Kanalisation schon 2100 Grundstücke angeschlossen; damit war sie vorläufig fertig gestellt. Gleichzeitig ließ die Stadt eine zentrale Wasserversorgung bauen.1890 ging das Wasserwerk Neumühle mit dem Rohrnetz in Betrieb.

Die unterirdische Kanalisation leitete das Abwasser – zusammen mit dem Regenwasser – zunächst auch nur in die nächsten Seen ab. Die Fäkalien wurden noch eingesammelt und abgefahren: Allein 1904 fuhren täglich fünf Wagen 1440 Tönnchen ab. Erst seit 1908 wird das Abwasser auch gereinigt: Damals ging die Kläranlage in der Bornhövedstraße am Schweriner See mit einer Rechenanlage, einem Sandfang, sechs Klärbrunnen, Schlammförderanlage und Schlammtrockenbeeten in Betrieb. Mit einer Kapazität von 216 Kubikmetern pro Stunde (m³/h) für etwa 42.000 Einwohner war sie aber schnell zu klein. Auch die mechanischen Kleinkläranlagen waren zwar ein Fortschritt, arbeiteten aber nur unzureichend. Von 1928 bis 1936 entstanden die Anlagen Parkweg, Weinbergstraße, Zippendorf, Dwang, Möwenburgstraße und Mustersiedlung sowie 1951 die am Buchenweg, weil diese Stadtteile noch keinen Anschluss an die zentrale Kanalisation hatten.

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Bis 1927 sorgte allein das freie Gefälle für den Abfluss in der Schweriner Kanalisation, dann ging das erste Pumpwerk am Franzosenweg in Betrieb.

Als „denkbar ungünstig“ wurden die Verhältnisse im Netz und in der Kläranlage bis 1958 beschrieben. Überlastete Altanlagen und äußerst schlechte Gefälle-Verhältnisse waren die Gründe, Rückstaue und Versandungen sowie überschwemmte Keller die Folge. Die Ursachen für viele Probleme lagen weit zurück. Wegen der um 1890 durchaus „begründeten Abneigung gegen Abwasser-Pumpwerke“ sollte der Abfluss in der Kanalisation allein aufgrund des natürlichen Gefälles funktionieren. Da Schwerin aber einige Hügel hat, hätte die Kanalisation aufwendig in großen Tiefen verlegt werden müssen. Hier jedoch wurde gespart, das Gefälle war zu gering, die Rohre zu klein. Schließlich investierte der Betrieb verspätet aber doch in drei Pumpwerke: Die Anlage am Schweriner See (Franzosenweg) ging 1927, die Werke in der Knaudtstraße und am Jägerweg 1929 in Betrieb. Sie pumpten Abwasser aus tiefer gelegenen Rohren in höher gelegene und vermieden so Rückstaus.

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An der Bornhövedstraße arbeitete von 1908 bis 1998 die erste Kläranlage von Schwerin. Die anspruchsvolle Architektur erinnert an die Rekonstruktion des Werkes von 1958.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Kanalnetz und Kläranlagen in der stark gewachsenen Stadt endgültig überfordert. 1950 wohnten 90.000 Menschen in Schwerin, 1908 waren es nur 34.000 gewesen. Vor allem bei starken Regenfällen lief das von Mischwasserkanälen dominierte System über und ergoss sich in die Seen. In den tief gelegenen Vierteln der Altstadt waren überflutete Keller, manchmal Straßen, nicht ungewöhnlich. Außerdem beklagte sich die Bevölkerung über die „Düfte“ der zu kleinen Kläranlage. Selbst das „geklärte“ Abwasser war faulig, der Schweriner See in der Nähe des Werkes stark belastet. Es lag außerdem zu tief. Das gereinigte Wasser konnte deshalb nicht ohne weiteres abfließen. Die Klärbrunnen galten schon lange als zu klein: Die Zeit zum Absetzen und Ausfaulen der Feststoffe im Abwasser war deshalb zu kurz. So wurden auch bei trockenem Wetter, also ohne zusätzliches Regenwasser, immer mehr teil-geklärte Abwässer in den See geleitet.

Schließlich wurde die Kanalisation modernisiert, mit weiteren Pumpwerken ergänzt und das Klärwerk Bornhövedstraße bis 1958 neugebaut. Es war nun für 1070 m³/h Abwasser ausgelegt. Das in der Schlammfaulung entstehende Klärgas wurde in einem benachbarten Gasbehälter zwischengelagert und im Betrieb zum Heizen verwendet. Gleichzeitig wurden auf dem Kläranlagen-Gelände für die kommunalen Abteilungen Abwasser und Trinkwasser Werkstätten, Garagen und Lager sowie in den 1960er Jahren auch Verwaltungsgebäude, Kultur- und Speiseraum gebaut. Damit hatte Schwerin hier eine neue, fortschrittliche Infrastruktur. Ihre bis heute erhaltenen Bauten wurden zudem anspruchsvoll gestaltet.

Die Wasserbetriebe der Stadt waren schon vorher zusammen gerückt: Seit 1952 firmierten sie als VEB (K) Wasserwirtschaft Schwerin. 1964 wurde der örtliche Betrieb Teil des bezirksgeleiteten VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung (WAB) Schwerin und übernahm die Zuständigkeit für das Trink- und Abwasser der etwa 330 Kommunen im Bezirk. Hier war die Versorgung sehr unterschiedlich strukturiert und lag weit unter dem DDR-Durchschnitt. Anschließend wurden in wenigen Jahrzehnten Tausende von Menschen an eine moderne Wasserver- und entsorgung angeschlossen. 1964 waren nur 41 Prozent der Bezirks- Einwohner an Abwasser-Systeme angeschlossen, an die zehn zentralen Kläranlagen nur 27 Prozent. Außerdem gab es einen geringen Mechanisierungsgrad und kaum biologische Reinigungsstufen. Als erstes Klärwerk im Bezirk erhielt das in Bützow 1975 eine moderne biologische Aufbereitung mit Belüftung. 1989 hatte der Bezirk Schwerin dann 89 Prozent der Haushalte (vor allem in den Städten) an die Kanalisation angeschlossen. Gleichzeitig war die Zahl der Beschäftigten im gesamten VEB WAB seit 1964 von 555 auf 918 gestiegen.

1970 baute er die Kläranlage Bornhövedstraße auf eine Leistung von 2120 m³/h aus und begann den Bau einer neuen Anlage in Schwerin-Süd. Sie ging 1974 mit einer Leistung von 1426 m³/h in Betrieb. Das nur mechanisch gereinigte Abwasser wurde auf Sickerflächen ausgebracht oder landwirtschaftlichen Flächen verregnet. Mit der Anlage konnten neue Wohn- und Gewerbegebiete erschlossen werden. Außerdem wurden die Kleinkläranlagen schrittweise außer Betrieb genommen, die letzte am Buchenweg erst 1992.

Später wurden auch Umlandgemeinden an die Schweriner Kanalisation angeschlossen. Nach dem erheblichen Ausbau der Kläranlage Schwerin-Süd unter anderem mit einer biologischen Reinigungsstufe (in einfacher Form schon 30 Jahre zuvor in der Bornhövedstraße geplant, aber nicht gebaut) war 1993 das Ende für die alte Kläranlage Bornhövedstraße gekommen; fünf Jahre später wurde das Gelände zugunsten von Schwerin-Süd als zentraler Betriebsstandort aufgegeben. Heute befindet sich auf dem Gelände ein moderner Mischwasser-Speicher mit 3000 m³ Kapazität, der ein Überfluten des Kanalsystems bei starken Regenfällen in die benachbarten Seen verhindert. Einen zweiten Speicher gibt es auf der Kläranlage Schwerin-Süd mit 6200 m³. Außerdem wird inzwischen in der gesamten Stadt gepumpt: Mehr als 100 Pumpanlagen arbeiten heute in dem 40 Kilometer langen Rohrnetz der Schweriner Abwasserentsorgung.

Knochenarbeit unter Tage

Noch Mitte der 1960er Jahre wurde das Kanalnetz in Schwerin überwiegend per Hand gereinigt. „Das war vor allem Knochenarbeit“, betont der Meister Bernd Müller, seit 1963 im Betrieb. Gereinigt wurde mühevoll mit Eimern, Bürsten und anderen Schürfgeräten, die mit handbetriebenen Winden durch die Rohre gezogen wurden. So ließen sich mit einem am Seil drehenden Wurzelschneider in das Rohr ragende Pflanzen abkratzen. In die großen Sammler stiegen die Arbeiter selbst ein, um vor Ort zu arbeiten. Ausreichend moderne Technik, wie Hochdruck-Spülgeräte und Schlammsaugwagen gab es erst in den 1980er Jahren.

Das Seil einer Winde haben noch um 1960 kleine Hunde zwischen zwei Schächten durch eine etwa 50 Meter lange Kanalhaltung gezogen. Später halfen dabei lange Latten aus Eschenholz. Diese Kanal-Latten waren einen halben Zentimeter dick, biegsam und schwammen auf dem Wasser. Mehrere von ihnen wurden aneinander genagelt und so durch die bis zu fünf Meter tiefen Schächte und die Kanalrohre gedrückt. Damit ließ sich dann ein Seil durchziehen oder auch schnell eine kleinere Verstopfung lösen. Bei einem hartnäckig verschmutzten Kanal blieb das eingesetzte Gerät allerdings auch manchmal hängen. Dann war Einsatzfreude und Fingerspitzengefühl zugleich gefragt. „Trotzdem konnten wir manchmal die Verstopfung erst am folgenden oder am dritten Tag beseitigen“, erinnert sich Müller.

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Bernd Müller zeigt einige historischer Geräte: ein Kanalwagen von etwa 1960 zum Entfernen von Ablagerungen sowie eine Bürste, ein Wurzelschneider, eine Zugschaufel und ein Kanalroller von etwa 1950.

Alte Geräte der Stadtentwässerung sind im Betriebsgebäude der Kläranlage Schwerin-Süd ausgestellt: Sicherheitsschuhe aus Holz, Leder und Stoff, Sicherheitsgurte, Bürsten und Wurzelschneider, eine Winde und ähnliches. Vieles davon war einst in der hauseigenen Werkstatt entstanden. „Auch das erste Hochdruck-Gerät haben wir uns selbst gebaut“, erzählt Müller. Seit etwa 1959 konnten damit Verstopfungen deutlich besser beseitigt werden: Mit einem Druck von etwa 40 bar bahnte sich fortan der Wasserstrahl einen Weg.

(Stand 2005)

Ergänzung von Januar 2008:

Schon 1998 war das Maschinen- und das Pförtnerhaus des 1958 an der Bornhövedstraße 71/75 gebauten Klärwerkes aus der Denkmalliste gestrichen worden. Ein Abbruch ist geplant. Dort am Schweriner See soll 2009 Teile der Bundesgartenschau stattfinden. Gerade aber diese Schau böte die Möglichkeit, die dort überlieferte qualitätvolle Industriearchitektur zu erhalten. Die aufgelockerte Bauweise lasse sich gut in eine Parklandschaft integrieren. Bei Gartenschauen im Ruhrgebiet und in Eberswalde jedenfalls wurden Industriedenkmale integriert. Auch das 1929 erbaute Abwasser-Pumpwerkes in der Knaudtstraße ist gefährdet. Nach Angaben der Schweriner Landesdenkmalpfleger hatte ein Sturm das Dach erheblich beschädigt, die Stadt wollte daraufhin das Häuschen abbrechen. Die Denkmalpflege aber wehrt sich dagegen. Dem Vernehmen nach soll das Häuschen nun verkauft werden. 

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1929 ging das Abwasser-Pumpwerk in der Knaudtstraße für Teile der Schelfstadt in Betrieb. Heute arbeiten neue Pumpen unterirdisch neben dem denkmalgeschützten Häuschen.                  

(alle Fotos: Sven Bardua, 2005)