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Darmstadt: Firma Schenck RoTec: 100 Jahre auf der Spur der Unwucht

Ginge es nach Eberhart Fritsch, dann würde er bald in die Luft gehen. Denn was da am 23. August diesen Jahres auf dem Museumsgelände von Rolls-Royce unter ohrenbetäubendem Getöse startete, gibt allen Anlass zum Weitermachen. Unterstützt von sechs Auszubildenden ist es dem pensionierten Piloten gelungen, einen fast 100 Jahre alten Flugzeugmotor zu neuem Leben zu erwecken. Viel Geduld und jede Menge historische Recherche waren nötig, um die sieben maroden Zylinder des Sternumlaufmotors wieder flott zu machen. Moderne Auswuchttechnik spielte dabei eine entscheidende Rolle.

gnom.kl.jpg Restaurierter Flugzeugmotor "Gnom"

Deutschland 1907: Kaiser Wilhelm II. lässt sein Volk von Weltmacht und Kolonien träumen. Der Reichstag bewilligt Millionenkredite für den Flottenbau und zahlreiche Heeresaufträge lösen im Flugzeugbau einen Boom aus. Davon profitieren auch die Motorenwerke Oberursel (heute Rolls- Royce Deutschland), die den aus Frankreich stammenden Propellermotor vom Typ Gnom fertigen, mit dem auch der Rote Baron Manfred Freiherr von Richthofen abheben wird. Die Flugzeug-Ingenieure der Kaiserzeit bauen nach dem Umlaufprinzip: Sieben sternförmig angeordnete Zylinder drehen mitsamt Propeller um eine starre Achse. Ein zentraler Aspekt dieser gewagten Konstruktion ist das Auswuchten der rotierenden Zylinder. Die dazu benötigte Maschine liefert das Darmstädter Unternehmen Carl Schenck – und setzt damit einen Meilenstein in der deutschen Technikgeschichte.

Mit dem Festakt vom 23. August 2007 schließt sich ein Kreis: Damals wie heute ist es eine Schenck-Maschine, die dem Gnom einen präzisen Rundlauf verleiht. Zu Anfang war daran freilich kaum zu denken. Denn als Eberhart Fritsch den Originalmotor vor wenigen Jahren in Frankreich aufstöberte, befand er sich nach einem missratenen ersten Restaurierungsversuch in einem eher traurigen Zustand. Unterstützt von Erich Auersch, dem Leiter des Rolls-Royce Museums in Oberursel, ließ Fritsch den Motor zerlegen, Zeichnungen erstellen und in 2500 Arbeitsstunden wieder aufbauen. Sein Team löste allerlei Probleme – unter anderem auch das Auswuchten der rotierenden Zylinder. Nach Rat gefragt, runzelten die Fachleute von Schenck RoTec in Darmstadt allerdings zunächst die Stirn: Wie sollte man einen solch außergewöhnlichen Motorblock in eine Auswuchtmaschine des 21. Jahrhunderts einspannen? Glücklicherweise erinnerte sich Produktmanager Ralf Oftring an ein Bild aus dem Kalender zum 100-jährigen Schenck-Jubiläum, das die erste gelieferte Maschine zeigt. Zufällig ist auf der historischen Aufnahme jene Auswuchtanlage zu sehen, die zur Kaiserzeit nach Oberursel geliefert wurde – sogar mit einem Umlaufmotor vom Typ Gnom. Dank dieser Darstellung konnten die Experten von Schenck RoTec erkennen, wie der Motor eingespannt wurde und konstruierten nach diesem Vorbild eine moderne Anlage. Beim Auswuchten zeigte sich dann, wie präzise die Ingenieure schon damals zu Werke gingen. Denn was da nach dem Ausgleich noch an Restunwucht messbar war, kann vor heutigen Maßstäben durchaus bestehen.

Auswuchtmaschine für Oberursel

Die Übergabe der ersten mechanischen Auswuchtmaschine an die Motorenwerke Oberursel markiert den Einstieg des Unternehmens Schenck in die industrielle Auswuchttechnik. Den Boden bereitete ein zuvor abgeschlossener Lizenzvertrag zwischen Carl Schenck und dem Camberger Erfinder-Ingenieur Franz Lawaczeck, der am Problem der Rotorschwingungen gearbeitet und 1907 in seiner Schrift Zur Theorie und Konstruktion der Balanziermaschine eine praktikable Auswuchtlösung entwickelt hatte. Schenck erkennt das Potenzial dieser Überlegungen und erwirbt das Recht zur kommerziellen Nutzung. Sein unternehmerischer Mut sollte belohnt werden: Für viele Jahrzehnte setzt das Lawaczeck-Prinzip den Standard für schnelles Auswuchten im industriellen Maßstab.

Bis heute geben Luft- und Raumfahrt, aber auch Energie- und Elektroindustrie sowie allen voran die Automobilindustrie und der Maschinenbau die entscheidenden Impulse für Innovationen in der Auswuchttechnik. Während bis in die 30er Jahre mechanische Auswuchtmaschinen das Geschehen bestimmen, ermöglicht die Erfindung der Braunschen Röhre – technische Grundlage eines jeden Oszilloskops – die Realisierung elektrodynamischer Auswuchtsysteme, mit denen sich ab 1942 ungleich präzisere Ergebnisse erzielen lassen. Einen weiteren Qualitätssprung für die Auswuchttechnik bringt Anfang der 50er Jahre das wattmetrische Verfahren, mit dem die Unwucht in einem einzigen Messlauf bestimmt werden kann. Und der Lichtpunkt-Vektormesser vereinfacht dann ab 1953 die Darstellung und Interpretation der Messergebnisse erheblich.

Um den enormen Bedarf an Auswucht-Bauteilen in den Jahren des Wirtschaftswunders bewältigen zu können, setzt Schenck konsequent auf Automatisierung. Wachsende Bedeutung erfährt dabei ein Verfahren zur Großserien-Fertigung von Kurbelwellen: das Wuchtzentrieren. Erstmals wird damit beim Kurbelwellenrohling die aktuell gegebene Massenträgheitsachse ermittelt und mit entsprechenden Zentrierbohrungen fixiert. Als der Schock der Ölkrise 1973 dann die Energiegewinnung aus Kohle, Wasser- und Kernkraft voran treibt, erfährt die Betriebssicherheit großtechnischer Anlagen immer größere Bedeutung. Bei Schenck führen die wachsenden Ansprüche an Qualität und Zuverlässigkeit zur Entwicklung hochtouriger Auswucht- und Schleuderanlagen für Turbinen und Generatoren, in denen sich Rotoren mit bis zu 240 Tonnen Gewicht auswuchten lassen.

Etwa zur gleichen Zeit führt das Unternehmen das elektronische, wattmetrische Messverfahren ein, und 1974 bringt es die ersten Auswuchtanlagen mit Rechnersteuerung auf den Markt. In den 80er Jahren erobern dann Computer mit Mikroprozessoren die Mess- und damit auch die Auswuchttechnik. Bedienerführung im modernen Sinn wird möglich, und Schenck setzt mit dem Computer Aided Balancing (CAB) einmal mehr einen technologischen Markstein.

Unter Druck geraten durch die asiatische Konkurrenz, erhöht der Automobilbau in den 80er Jahren den Automatisierungsrad und optimiert die Qualitätssicherung. Inzwischen kommen bis zu 60 Elektroanker in einem Durchschnittsauto zum Einsatz – allein das zeigt den enormen Bedarf an Auswuchttechnik. Außerdem fahren die Autos immer schneller; neue Reifentypen entstehen – das Auswuchten von Reifen und Rädern wird zur technischen Herausforderung. Zugleich beginnen die Fahrzeughersteller damit, Reifen bereits in der Produktion auszuwuchten. Sie verwenden dazu hoch automatisierte Maschinen von Schenck.

In den Jahrzehnten darauf sind es vor allem der Personen- und Frachtluftverkehr sowie Satelliten- und Weltraummissionen, die großen Einfluss auf die Auswuchttechnik ausüben. Der Vormarsch der Strahltriebwerke im Flugzeugbau führt zur Entwicklung spezieller Vertikal- und Horizontalmaschinen. Außerdem liefert Schenck die erste Auswuchtmaschine für Satelliten und Raketen sowie Messtische für Massenträgheitsmoment und Schwerpunktwaagen.

Im Laufe der Jahrzehnte ist der Name Schenck zum Synonym geworden für hochwertige Auswucht-Technologie und wird heute repräsentiert im Unternehmensbereich Balancing and Diagnostic Systems der Schenck RoTec GmbH, einem Tochterunternehmen des Technologiekonzerns DÜRR AG. In allen Branchen stellen die Maschinen des Unternehmens sicher, dass rotierende Teile in Anlagen, Geräten und Fahrzeugen kontinuierlich die gewünschte Leistung bringen. Dabei reicht das Anwendungsspektrum heute vom miniaturisierten DC-Motor bis zum elektrischen Eisenbahnantrieb, vom einzelnen Zahnrad bis zur kompletten Lkw-Hinterachse, von der handbeladenen Prüflingsaufnahme bis zur vollständig vernetzten Prüfstraße. Die modular konzipierten Diagnosesysteme bieten Lösungen zur Messung, Bewertung und Überwachung eines jeden Merkmals. Zugleich entwickelt Schenck RoTec weiter moderne Auswuchtverfahren wie den Ausgleich durch Verwiegen von Pleuel oder das Abtragen durch Laserbeschuss.

Flugzeug vom Typ "Fokker E3"

Übrigens: Während die Entwickler bei Schenck RoTec bereits über die nächsten Innovationsschritte nachdenken, schraubt der passionierte Flieger Eberhart Fritsch die ersten Teile einer Fokker E3 zusammen. Der historische Eindecker soll dann vom restaurierten Gnom in die Lüfte getragen werden. Vielleicht sieht man Fritsch ja bald schon eine Ehrenrunde über das Werksgelände von Schenck RoTec in Darmstadt drehen.

Zum Unternehmen Schenck RoTec: hie [1]r
Unternehmensgeschichte: hier [2]
Zum Werksmuseum Rolls-Royce, Oberursel: hier [3]

(Text, Abb. 1-3: Schenck RoTec)