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Papierfabrik Hohenofen b. Neustadt/Dosse

Nach zehn Jahren Dornröschenschlaf soll für die Patent-Papierfabrik Hohenofen im Nordwesten von Brandenburg ein neues Leben beginnen. Doch zunächst geht es ums Ganze. Aktuell müssen viele der mehr als 40 Dächer geflickt werden, damit das einzigartige Ensemble nicht weiter leidet. Das in der östlichen Prignitz bei Neustadt (Dosse) gelegene Werk dokumentiert eindrucksvoll Papierproduktion und eine typische industrielle Arbeitswelt aus der Zeit um 1900. Im Gegensatz zu vielen anderen, leergeräumten Industriedenkmalen ist der interessante Maschinenbestand und nicht die Fassade das Kapital dieses Denkmals. „Ich habe es mir etwas anders vorgestellt“, resümiert Bürgermeister Hermann Haacke. Mit einer Handvoll Mitstreiter war er im Frühjahr 2003 zur Gründung des Vereins Patent-Papierfabrik Hohenofen e.V. erschienen. Als Vertreter der Gemeinde wollte er Einfluss auf die Zukunft des ortsbildprägenden Areals nehmen. „Aus der Versammlung bin ich als Vorsitzender wieder heraus gekommen.“

Haacke sitzt im Kontorhaus, spricht ruhig, klar. Auch Vorstandskollege Bodo Knaak neben ihm träumt nicht von Luftschlössern, will aber ebenfalls nicht aufgeben. Man spürt, das sie anpacken können, Problemen nicht aus dem Wege gehen. Doch bei diesem Projekt bleibt ihnen etwas die Luft aus. „Es ist für uns einfach vier Nummern zu groß“, seufzt Haacke und: „Ohne Hilfe von außen sind wir weitgehend hilflos.“ Doch irgendwie müsse es weitergehen. Schon die jüngere Geschichte des Werkes ist eine Reihe von Zufällen. Als einziger Hersteller in der DDR (zeitweise im gesamten Ostblock) produzierte das Werk Hohenofen Transparent-Zeichenpapiere. Sie wurden überwiegend exportiert. Das sicherte der veralteten Fabrik zwar das Überleben; Investitionen aber gab es kaum. 1992 musste das Werk schließen, nachdem es zuvor noch den Versuch gemacht hatte, in der Zellstoff-Aufbereitung Fuß zu fassen. 140 Beschäftigte wurden entlassen. 

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Holländersaal

Das Leben stand still in dem 300-Seelen-Industriedorf. Der Betrieb war auch gesellschaftlicher Mittelpunkt:“Hier gab es Friseur und Betriebsarzt genauso wie den für viele Feste genutzten Kulturraum“, erzählt Haacke. 1994 pachtete Ernst-Felix Rutsch aus Kiel das Gelände für eine Mark jährlich von der Treuhand, wollte mit der Aufbereitung von Papieren zweiter Wahl und einem Museumsbetrieb Geld verdienen. Rutsch scheiterte damit, hielt aber die Fabrik nach Kräften instand und frönte seiner Sammelleidenschaft. Heute lagern im Werk auch alte Geräte aus Haushalt und Landwirtschaft, das Inventar eines Konsum-Ladens, eine Kinobestuhlung, der alte Bahnsteig von Neustadt, eine Druckerei und Setzerei aus Berlin sowie die Maschinen einer Vulkanfiber-Fabrik aus Werder (Havel).

Mit diesem Schichtkunststoff aus ungeleimtem, mit Zinkchlorid versetzten Papier waren Koffer und Schachteln hergestellt worden. Allein diese Technik wäre ein Museum wert. Dem neuen Pächter aber nützt dies zunächst wenig. Um die Fabrik vor dem Ausschlachten zu bewahren, ersteigerte der engagierte Bürger Christoph Steinhauer sie im Dezember 2002 im Einvernehmen mit der Kommune für 8000 Euro von der regionalen Treuhand-Liegenschafts-Gesellschaft und verpachtete sie für 25 Jahre pachtzinsfrei an den neu gegründeten Verein. Und der räumte auf: Mit Hilfe von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) entrümpelte er das Gelände und reparierte Einiges notdürftig. Damit können ein paar Räume wieder genutzt werden, dienen sogar wieder einer Produktion: Hier stellen etwa ein Dutzend Beschäftigte im Rahmen einer ABM Solar-Warmwasser-Generatoren her.

Außerdem fanden hier schon Veranstaltungen – unter anderem das Dorffest – statt und Studenten der TU Berlin, Fachbereich Landschaftsplanung, entwickeln zur Zeit Ideen für diese Industriebrache. Es gebe halt wieder ein Funken Hoffnung, meint der stellvertretende Vorsitzende Michael Vossen. Dabei erwarte niemand einen pulsierenden Industriestandort oder ein Füllhorn staatlicher Fördermittel. Kleine, intelligente und angepasste Vorhaben seien gefragt. Der Verein will weiteres Gewerbe ansiedeln und gleichzeitig den historisch wertvollen Teil der Fabrik für Kultur und Tourismus nutzen. Dabei hat er einen herben Rückschlag erlitten: Bei Reparaturarbeiten brannte im vorigen Winter ein Dach ab: Seitdem läuft dort ungeschützt Regenwasser hinein und zerstört allmählich Teile der Holländer-Halle und Räume neben der Papiermaschine. Mit der Papierproduktion hatte es schon 1834 ein „zweites Leben“ für den Industrie-Standort mitten in der landwirtschaftlich geprägten Region gegeben: Seit 1663 waren hier Eisen und Silber verhüttet worden. Das Raseneisenerz wurde in der Umgebung abgebaut und zur Verhüttung zum „Hohen Ofen“ gebracht. Dafür ließ der Besitzer, Prinz von Hessen-Homburg, auch die Dosse verlegen: Auf ihr wurde das Roheisen über die Havel bis Berlin verschifft; die Wasserkraft diente zum Antrieb der Hochofen-Gebläse. Wegen Rohstoffmangels wurde seit etwa 1750 Silbererz aus Mansfeld in Hohenofen geschmolzen. 1833 war auch damit Schluss. Hohenofen mit etwa 500 Einwohnern versank in Armut. Doch 1834 wurde das Werk an die Königliche Seehandlung verkauft, die es bis 1838 zu einer Papierfabrik umbauen ließ und an die Patentpapierfabrik Berlin verpachtete.

Fortan produzierten etwa 90 Arbeiter mit einer von Donkin & Co. aufgestellten Rundsiebpapiermaschine unter anderem Zeichen-, Schreib-, Seiden- und Tapetenpapiere, 2800 Zentner im ersten vollen Jahr. Auch diese Produkte wurden mit Kähnen überwiegend nach Berlin transportiert, umgekehrt wurden als Rohstoff Lumpen herangeholt. Nach mehreren Besitzerwechseln übernahm 1888 der Papierfabrikant August Woge aus Alfeld das Werk, ersetzte die Papiermaschine, modernisierte die übrige Technik und trieb die Produktion von Feinpapieren voran. 1908 übernahm die Papierfabrik Felix Schoeller & Bausch aus Neu Kaliß (Mecklenburg) das Werk und baute es weiter aus. Aus diesen beiden Phasen stammt der Kern des heutigen Denkmals mit Hauptgebäude, Bleiche, Zellstofflager, Werkstatt, Kesselhaus, Kontorhaus und Lumpenspeicher. Von den 16 Holländer-Mahlwerken stammen zwei von 1888, gebaut von Wagner & Comp. Coethen. Aus der Zeit stammen auch die zwei sonst längst ausgestorbenen Kollergänge. In ihnen wurde der Ausschuß zerkleinert. „Man könnte das im Turbolöser sicherlich auch machen, aber dann müsste man hinterher noch wieder einen Entstipper haben, und der frißt wieder mehr Energie als der Kollergang“, schrieb dazu der Ingenieur Hans-Ulrich Bein 100 Jahre später. Energie war eben knapp in der DDR. Drei Bleichholländer, zwei Vorratsbütten mit Rührwerken und die 44 Meter lange Langsieb-Papiermaschine aus den 1920er Jahren (das Sieb wurde 1968 verlängert, Bütten und Antrieb modernisiert) gehören ebenfalls zum Bestand. Die alten Lorengleise zum Lumpenboden, die genieteten Hunte für den internen Transport, Zähltische im Papiersaal sowie alte Treppen, Schilder, Fenster und Türen sorgen auch im Detail für einen besonderen Charme. Die Technologie der Papierherstellung hat sich im Grundsatz jahrzehntelang eben kaum verändert, meint der Denkmalpfleger Matthias Baxmann: „Die Maschinen erwiesen sich bei nachfolgenden Modernisierungen als erstaunlich kompatibel.“

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Papiermaschine

Große Filterteiche und eine Anlage mit gemauerten Filterbecken auf der anderen Seite der Dorfstraße sind ebenfalls Zeugen der Papier-produktion. „Das Wasser für die Produktion mußte besonders sauber sein“, betont Bodo Knaak. Unklar ist die Funktion eines hölzernen Klärturmes auf dem Hof: Vermutlich wurden nach der Bleiche anfallende Sinkstoffe aus dem Abwasser gefiltert. Schon 1955 war eine Faserstoff-Rückgewinnungsanlage gebaut worden. Der Klärturm wurde um 1980 auf den Stumpf des gesprengten Kesselhaus-Schornsteines gesetzt, nachdem die Dampfmaschine stillgelegt, der Strom aus dem Überlandnetz bezogen und ein neues Heizwerk in Betrieb gegangen war, meint Knaak. Einen weiteren Klärturm gab es vorher schon an der Straße. Unmittelbar daneben floss einst das Dosse-Wasser über einen Nebenarm unter der Papierfabrik durch – nutzlos, denn schon um 1885 hatten Dampfmaschinen die Wasser-turbinen als Antrieb für das Werk ersetzt. Schoeller & Bausch verkauften das Werk 1917 an Illig. Später lag es still, wurde 1938 wieder von Schoeller & Bausch übernommen, etwas modernisiert und schließlich als Zweigwerk der Feinpapierfabrik Neu Kaliß 1953 volkseigener Betrieb. Bald ersetzte die Fabrik Hohenofen die Lumpen durch Zellstoff und spezialisierte sich auf Transparent-Zeichenpapiere. Zunächst gehörten außer diesen Papieren auch extrafeines Schreibpapier, Registerkarton, Spezial-Manila-Krepppapier (als Rohstoff dienten vor allem alte Schiffstaue), Rändelpapier und Packpapier zum Sortiment. 1953 wurden so 780 Tonnen Papier hergestellt.

Nach dem Umbau der Papiermaschine wurden 1969 schon 1310 Tonnen produziert; 1987 waren es 1505 Tonnen. Schließlich gab es gab noch andere Produktionen. So wurden aus Importpapier Rollen für die Herstellung von Mehl- und Zuckertüten geschnitten und 1983 lief in Hohenofen die Produktion der Torf-pflanztöpfe „Neukatop“ auf Fasergußmaschinen an: Aus Torf, Holz-schliff und Wasser wurden so im DDR-Gartenbau begehrte Pikier- und Anzuchttöpfe hergestellt. Die Patent-Papierfabrik Hohenofen, Dorfstraße 25, 16845 Hohenofen ist nach Vereinbarung zu besichtigen. Interessierte müssen sich bei Hermann Haacke, Telefon 03 39 70 / 147 47, melden.

Weitere Informationen gibt es auf der Internet-Seite www.patent-papierfabrik.de [1]

 

Sven Bardua, Hamburg (Stand: Sommer 2004)