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EU-Stahlindustrie – Neues

Für das laufende Jahr wird eine Rohstahlproduktion von 240 Mio. Tonnen erwartet. Dass insbesondere auch die führenden deutschen Anlagenbauer und Stahlkonzerne an diesem Boom mit verdienen, wird nicht an die große Glocke gehängt. Die Preissteigerungen und drohenden Versorgungsengpässe
beim Koks sind inWirklichkeit hausgemacht. In einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 25. Februar 1999 steht unter der Überschrift „Deutsche Kokereien leiden unter der Last der Überkapazitäten“: „Erhebliche Überkapazitäten auf dem euro- zwei deutschen Kokereien (…) Wegen der Importe aus China (…) sei eine Änderung nicht zu erwarten“. Im Gefolge dieser Einschätzung
wurden 1999 nicht nur die RAG-Kokereien Fürstenhausen (Völklingen) und Hassel (Gelsenkirchen) geschlossen, sondern 2002 auch die Kokerei Kaiserstuhl nach nur achtjähriger Betriebsdauer. Von einst 29 Kokereien ist nur die Kokerei Prosper in Bottrop übrig geblieben, sowie vier Hütten-Kokereien.

In Frankreich dieselbe Entwicklung: nach und nach wurden alle Zechen-Kokereien stillgelegt. Die sich abzeichnende Änderung im Welt- Koksmarkt war die Rettung für die letzte CdF-Kokerei in Carling,
die von der Rogesa übernommen wurde (siehe industrie-kultur 1/2004). Die „Überkapazitäten“ in Europa waren nur vorhanden, weil die Stahl-Konzerne möglichst viel billigen Import-Koks einsetzen wollten. Diesem Import wurden die heimischen Ressourcen, insbesondere die der RAG, geopfert. In ganzseitigen Anzeigen in deutschen Tageszeitungen am 3. Mai 2004 ließ die RAG unter
der dicken Überschrift „Deutschland geht die Kohle aus“ nun verbreiten: „Kokskohle und Koks sind weltweit knapp.Wer sich ausschließlich auf die globalen Rohstoffmärkte verlässt, ist verlassen. Die Preise explodieren: Von 50 auf 500 Dollar für eine Tonne. Ohne Koks kein Stahl. Das trifft unsere Stahlindustrie und die mittelständische Metallbranche heute hart (…) Arbeitsplätze sind in Gefahr.
Heute die Metallbranche und morgen unsere Stromversorgung? Jede zweite Kilowattstunde kommt heute aus deutschen Kohlekraftwerken. Und den Rohstoff Kohle für unseren Stromverbrauch haben wir in Deutschland noch für Jahrhunderte – und auch Kokskohle ist noch reichlich vorhanden“.

Eine kurzfristige Änderung der Kohlepolitik ist indes nicht zu erwarten, zumal diese in EU-Hoheit liegt. Die EU ihrerseits hat erst mal einen anderen Weg beschritten: Angesichts einer beabsichtigten Senkung der chinesischen Exporte von Koks nach Europa wurde die chinesische Regierung massiv unter Druck gesetzt und mit einer Beschwerde bei der WTO (Welthandelsorganisation) gedroht.
Inzwischen hat China eingelenkt und will in diesem Jahr trotz des nicht gedeckten Eigenbedarfs 9 Mio. Tonnen nach Europa liefern. Die Erzeugung in China wird verstärkt ausgebaut. Demnächst werden die Anlagen der Kokerei Kaiserstuhl in China wiederaufgebaut und der zum ThyssenKrupp-Konzern gehörende Dortmunder Anlagenbauer Uhde hat einen Auftrag für den Bau von zwei Koksofenbatterien mit einer Jahreskapazität von jeweils 1 Mio. Tonne für den chinesischen Stahlkonzern TISCO bekommen. W.S.