Völklingen: Die Röchlings und die Völklinger Hütte – Sonderausstellung in der Erzhalle der Völklinger Hütte vom 13. September 2014 bis 26. April 2015

Die Geschichte der Völklinger Hütte ist mit einer Familie verbunden: den Röchlings. Über Jahrzehnte prägten Vertreter dieser Familie die Geschicke des Völklinger Eisen- und Stahlwerks. Ab Samstag, den 13. September 2014, erzählt das Weltkulturerbe Völklinger Hütte, wie es selbst mitteilt, erstmals in einer Ausstellung die mehr als 100-jährige Geschichte der Völklinger Hütte im Spiegel der handelnden Personen aus der Gründer- und Eigentümerfamilie Röchling …

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Die Ausstellung spannt einen Bogen von den Gründungstagen der Völklinger Hütte unter dem Industriepatriarchen Carl Röchling bis hin zur Nachkriegszeit. Sie erzählt von den Innovationen der Völklinger Hütte unter den Röchlings, von wirtschaftlichen Erfolgen und sozialen Einrichtungen. „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“ thematisiert die tiefen Schattenseiten wie den Einsatz von Zwangsarbeitern in zwei Weltkriegen und die Nähe Hermann Röchlings zu Adolf Hitler und den Nationalsozialisten.

„Mit „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“ wendet sich das Weltkulturerbe Völklinger Hütte nach eigenen Angaben einem bedeutenden Kapitel der saarländischen Geschichte und auch einem Stück europäischer Zeitgeschichte zu. Ausstellungsort ist die um 1900 errichtete Erzhalle, in der zu Betriebszeiten der Völklinger Hütte das wertvolle Eisenerz gelagert wurde. Die Erzhalle ist ein idealer Ort, um diesem Thema im Weltkulturerbe Völklinger Hütte ein Forum zu bieten“, sagt Meinrad Maria Grewenig, Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte.

Die Ausstellung verbindet Originalexponate wie historische Fotos, Briefe oder Exponate aus dem Familienarchiv mit der Dokumentation der historischen Ereignisse. „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“ erzählt so die Geschichte einer Unternehmerfamilie und eines bedeutenden Industriewerks.

Gleichzeitig erzählt sie damit auch ein Stück europäischer Zeitgeschichte im Spannungsfeld zwischen Deutschland und Frankreich. „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“ zeichnet das Porträt einer Industrieregion, die immer wieder durch nationale Grenzen getrennt und durchbrochen war. Das Erz in Lothringen, die Kohle an der Saar – das war eine Ausgangssituation bei der Gründung der Völklinger Hütte, die für die Geschichte der Röchlings und der Völklinger Hütte prägend blieb.

Die wissenschaftliche Recherche zur Ausstellung „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“ leistete die Journalistin und Historikerin Dr. Inge Plettenberg. Sie hat unter anderem über Zwangsarbeiter im Saarland im Zweiten Weltkrieg gearbeitet.

Exponate und Dokumente

Die Ausstellung erzählt die von den Röchlings geprägte Geschichte der Völklinger Hütte in einer publikumswirksamen Präsentation und bietet so dem Thema im Weltkulturerbe Völklinger Hütte ein Forum. Zwölf Ausstellungskapitel spannen einen Bogen von dem ersten, Pleite gegangenen Stahlwerk des Ingenieurs Julius Buch bis zu den Rastatter Prozessen. Wirtschaftswunder und Nachkriegszeit, das Ende der Roheisenproduktion der Völklinger Hütte im Zuge der europäischen Eisen- und Stahlkrise und der Neustart des UNESCO-Weltkulturerbes Völklinger Hütte runden den Ausstellungsbogen ab.

Im Zentrum stehen die beiden prägenden Figuren Carl und Hermann Röchling. Aber auch andere interessante Personen der Röchling-Familie wie Louis oder Ernst Röchling sind wichtiger Teil der Ausstellung.

Gezeigt werden Exponate, die in der Literatur zu den Röchlings immer wieder erwähnt werden, so gut wie nie aber im Original zu sehen sind. Hierzu zählt der Brief von Carl Röchling an seinen Bruder Theodor vom 8. August 1881, in dem Carl Röchling berichtet, dass er für 270.000 Goldmark das Stahlwerk in Völklingen gekauft hat. Unter Carl Röchling entwickelt sich die Völklinger Hütte zu einem florierenden Unternehmen, das europaweit führend in der Herstellung von Eisenträgern ist.

Ebenfalls im Original zu sehen ist das Skizzenbuch, das der 25-jährige Hermann Röchling auf seiner mehrmonatigen Studienreise in die USA im Jahr 1897 angefertigt hat. Hermann Röchling informierte sich in den USA über die neuesten Methoden der Stahlherstellung. Zudem interessierte ihn die Frage, wie man die räumliche Entfernung von Erz- und Kohlevorkommen ohne betriebswirtschaftliche Nachteile überwinden konnte. Außerdem im handgeschriebenen Original zu sehen: Hermann Röchlings ‚Weihnachtsmärchen‘, das er 1946 im Militärgefängnis Nürnberg geschrieben hat. Daneben finden sich Exponate wie ein Original-Stahlhelm, der stellvertretend für die Kriegsproduktion der Völklinger Hütte im Ersten Weltkrieg steht. Die „Röchling’schen Eisen- und Stahlwerke“ erzeugten einen Großteil des Stahls für die deutschen Stahlhelme des Ersten und Zweiten Weltkriegs.

Ein wichtiges Thema der Ausstellung sind die Zwangsarbeiter, die in zwei Weltkriegen unter unmenschlichen Bedingungen in der Völklinger Hütte arbeiten mussten. Die Ausstellung macht deutlich, dass bereits im Ersten Weltkrieg in der Völklinger Hütte Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Für den Zweiten Weltkrieg hat Inge Plettenberg verschiedene Quellen miteinander verglichen und so weit wie möglich die Lebensläufe und Todesursachen der in Völklingen verstorbenen Zwangsarbeiter ermittelt. Nach aktuellem Forschungsstand sind in Völklingen 256 ausländische Arbeitskräfte, in der Mehrheit Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, zwischen 1941 und 1945 zu Tode gekommen. Darunter 45 Kinder und 23 Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren. Mehr als 12.000 ausländische Menschen verschiedener Nationen arbeiteten im Zweiten Weltkrieg in der Völklinger Hütte und ihren Nebenbetrieben. Der größte Teil von ihnen waren Zwangsarbeiter, darunter französische, italienische und russische Kriegsgefangene oder aus der damaligen Sowjetunion verschleppte russische und ukrainische Zivilpersonen.

Hermann Röchling war in seiner Funktion als Vorsitzender der „Reichsvereinigung Eisen“ an der Rekrutierung und Verschleppung von Zwangsarbeitern aus den besetzten Ländern Europas in die Eisen- und Stahlwerke des gesamten Deutschen Reichs beteiligt.

Für die Menschen, die in der Völklinger Hütte Zwangsarbeit verrichten mussten, wird das Weltkulturerbe Völklinger Hütte auf seinem Gelände ein Denkmal errichten und im Internet die Namen und Lebensdaten aller Verstorbenen dokumentieren.

Neben den technischen Innovationen wie Verbesserungen der Edelstahlproduktion, dem Erzschrägaufzug oder der Sinteranlage werden in der Ausstellung „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“ die wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen der Geschichte thematisiert. Hierzu zählen unter anderem die Sozialeinrichtungen der Völklinger Hütte. Insbesondere die von einer Baugenossenschaft errichteten Siedlungen, in denen Arbeiter der Röchling-Werke wohnen oder eine eigene Wohnung bzw. ein eigenes Haus erwerben konnten, sind in der kollektiven Erinnerung sehr präsent. Zinsen mussten gezahlt und in hohem Maße Eigenarbeit eingebracht werden.

Im Zweiten Weltkrieg beteiligten sich verschiedene Werke von Röchling auch an der Entwicklung von „Wunderwaffen“, die den Durchhaltewillen der deutschen Bevölkerung stärken und dem Feind vernichtende Schläge zufügen sollten. Die „Hochdruckpumpe“ oder „V3“, die von der französischen Atlantikküste über eine Entfernung von mehr als 150 Kilometern Londons Zentrum beschießen sollte, wurde von einem Ingenieur der Röchling’schen Eisen- und Stahlwerke konstruiert. In Völklingen wurden die Rohre für die Hochdruckpumpe produziert. Zum Glück scheiterten die Versuche, London vom Atlantik aus zu beschießen. Von Lampaden bei Trier wurde im Dezember 1944/Januar 1945 die Stadt Luxemburg mit Hilfe einer V3 beschossen. Es war die einzige tatsächlich eingesetzte V3. 44 bestätigte Treffer im Stadtgebiet und mindestens ein Toter sind überliefert. In der Ausstellung wird die Geschichte der verhinderten Wunderwaffe V3 erzählt, eine Granate der V3 von 2 Meter Länge und 15 cm Durchmesser ist in der Erzhalle zu sehen.

Ausführlich gewürdigt wird der Rastatter Prozess, in dem Hermann Röchling als Kriegsverbrecher angeklagt und verurteilt wurde. Auch Ernst Röchling und drei weitere Vertreter der Völklinger Hütte standen in Rastatt vor Gericht.

Die Ausstellung endet mit der Nachkriegszeit mit der höchsten Beschäftigungszahl der Völklinger Hütte im Jahr 1965 (mehr als 17.000 Menschen), der Stahlkrise mit der Schließung der Roheisenproduktion und der Ernennung der Völklinger Hütte zum „UNESCO-Weltkulturerbe“ und bedeutendem Technikdenkmal aus der Blütezeit der Industrialisierung.

Neben Exponaten und historischen Dokumenten bietet die Ausstellung auch einen Raum zur Debatte und Diskussion über das Spannungsfeld zwischen den handelnden Personen der Familie Röchling und der Geschichte der Völklinger Hütte. Im Rahmen des ausführlichen Begleitprogramms zu „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“ wird es eine wissenschaftliche Vortragsreihe geben, die den aktuellen Stand der historischen Forschung vorstellt. Auch ein speziell für die Ausstellung produzierter Film von Felix von Böhm greift diese Themen auf.

„Die Ausstellung „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“ ist für uns der Auftakt zur zweiten Phase einer umfänglichen Beschäftigung mit verschiedenen Aspekten der Industriekultur der Völklinger Hütte und dem Wirken der Familie Röchling in Völklingen. Hierzu zählen technische Innovationen. Hierzu zählen menschenverachtende Dimensionen der Geschichte wie der Umgang mit Zwangsarbeitern. In der Ausstellung „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“ bieten wir zahlreiche Dokumente zu den verschiedenen Aspekten. Jeder Besucher kann so sein eigenes Urteil fällen“, sagt Meinrad Maria Grewenig, Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte.

Die Ausstellung wurde von der „Ulli und Uwe Kai-Stiftung“ und der Stadt Völklingen gefördert.

 

Die Röchlings und die Völklinger Hütte
Sonderausstellung in der Erzhalle der Völklinger Hütte

13. September 2014 bis 26. April 2015

www.voelklinger-huette.org