Archiv für den Tag: 22. Dezember 2008

Münster: Buch und Ausstellung „Die Speicherstadt Münster“ dokumentieren Weg vom NS-Heeresverpflegungsamt zum Dienstleistungszentrum

Die Speicherstadt in Münsters Norden hat eine bewegte Geschichte erlebt: 1938/39 als Heeresverpflegungshauptamt von der Wehrmacht erbaut, wurde sie von 1945 bis 1994 von der britischen Armee unter dem Namen Winterbourne Barracks als Kaserne genutzt. 1998 kaufte die Westfälisch-Lippische Vermögensverwaltungsgesellschaft die Anlage und baute sie für die zivile Nutzung um. Diese Konversion steht jetzt vor dem Abschluss. Das Institut für vergleichende Städtegeschichte hat den Prozess in einem Forschungsprojekt begleitet. Die Ergebnisse zeigen das Institut und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), dessen Tochter die WLV ist, jetzt in der Ausstellung "Die Speicherstadt Münster", die noch bis zum 9. Januar im LWL-Landeshaus (Freiherr-vom-Steinplatz 1 in Münster) zu sehen ist. Dazu ist ein gleichnamiges Buch im Ardey-Verlag erschienen.

"Als Eigentümer der Speicherstadt sehen wir uns verpflichtet, die Geschichte der Speicherstadt aufzuarbeiten und so unserer historischen Verantwortung im Umgang mit den während der Zeit des Nationalsozialismus entstandenen Gebäuden gerecht zu werden", sagte LWL-Direktor und WLV-Aufsichtsrats-vorsitzender Dr. Wolfgang Kirsch am Mittwoch (17.12.) bei der Ausstellungseröffnung und Buchpräsentation.

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Umgebauter Bodenspeicher mit Glasfassade, 2008

Die heutige Speicherstadt wurde von der Wehrmacht 1938/39 als eines von sechs Heeresverpflegungshauptämtern im Wehrkreis VI (neben Münster waren dies Düsseldorf, Köln, Köln-Wahn, Minden und Paderborn-Neuhaus) für die Versorgung der Soldaten mit Brot und der Pferde mit Futter errichtet. Das ehemalige Heeresverpflegungshauptamt bestand aus neun Speichergebäuden (sieben Bodenspeichern und zwei Zellenspeichern), einer Heeresbäckerei sowie zahlreichen weiteren Verwaltungs- und Betriebsgebäuden. Es besaß einen eigenen Gleisanschluss an das Netz der Deutschen Reichsbahn. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges wurden in diesen reichszentral geplanten und zeitgleich errichteten so genannten Reichstypenspeichern Getreide und Mehl gelagert sowie das Kommissbrot zur Versorgung der Soldaten gebacken.

Das Buch und die Ausstellung vermitteln die Entwicklungsgeschichte des ehemaligen Heeresverpflegungsamtes bis zur heutigen Speicherstadt in ihrer gesamten Bandbreite und betten diese in aktuelle Fragestellungen der Konversion und des Denkmalschutzes ein. Damit bearbeitet diese Werkmonographie nicht nur die Baugeschichte des Objektes, sondern widmet sich darüber hinaus weiterführenden Aspekten der Vermarktung und Verwertung solcher großflächigen, ehemals militärisch genutzten Immobilien.

"Das Forschungsprojekt betritt Neuland, indem es die militärhistorische Vergangenheit des ehemaligen Heeresverpflegungshauptamtes als strategisches, logistisches und administratives Versorgungszentrum des Heeres während des Zweiten Weltkrieges aufarbeitet. Denn solche Versorgungs-anlagen standen bisher eher am Rand des Forschungsinteresses", sagte Prof. Dr. Werner Freitag, Geschäftsführer des Institutes für vergleichende Städtegeschichte. Eine Überblickskarte der Heeresverpflegungsämter im Deutschen Reich 1936 bis 1944 vermittele anschaulich den massiv betriebenen Aufbau der militärischen Infrastruktur, die sich flächendeckend ausgebreitet habe und als ein deutliches Moment der Aufrüstung und der aggressiven kriegswirtschaftlichen Mobilmachung zu verstehen sei, so Freitag weiter.

Bundesweit sind die meisten dieser ehemaligen Versorgungsmagazine bis heute erhalten. Sie befinden sich in unterschiedlichen Nutzungs- und Entwicklungsstadien. Wenige Speichergebäude wurden bisher gesprengt (z.B. Paderborn-Neuhaus, Braunschweig-Gliesmarode); viele stehen leer und sind dem Vandalismus ausgeliefert (z.B. Kaiserslautern, München), und einige werden noch von den alliierten Streitkräften oder der Bundeswehr genutzt (z.B. Hamburg, Oldenburg, Osnabrück). Nur wenige Anlagen haben eine einheitliche Umnutzung erfahren (z.B. Bielefeld und Stendal). "Von den einheitlich umgenutzten Anlagen ist die Speicherstadt Münster die größte. Ihr umfangreicher Gebäudekomplex ist innerhalb von zehn Jahren nahezu vollständig umgenutzt worden", hoben Kirsch und Freitag hervor.

Die Ausstellung kann noch bis zum 9. Januar 2009 wochentags von 9 Uhr bis 19 Uhr in der LWL-Bürgerhalle des LWL-Landeshauses, Freiherr-vom-Stein-Platz 1 besucht werden. Heiligabend und Silvester ist die Ausstellung geschlossen.

Weitere Informationen zum Projekt

Weitere Auskünfte bei: Angelika Oelgeklaus, Institut für vergleichende Städtegeschichte, Königsstr. 46, 48143 Münster (Tel.: 0251/83 275 11, A.Oelgeklaus@uni-muenster.de).

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Die Speicherstadt Münster. Heeresverpflegungsamt und Reichstypenspeicher. Konversion und Denkmalschutz
hg. vom Institut für vergleichende Städtegeschichte durch Angelika Oelgeklaus, Münster: Ardey 2008, Festeinband, 320 Seiten, Format 24 cm x 29,5 cm; ISBN 978-3-87023-274-0, 48 ¤ 

(Text: LWL; Fotos: Stadtarchiv Münster; Oelgeklaus)

Dortmund: Sonderausstellung „Zeit ist Geld“ zur Geschichte der Arbeitszeitkontrolle im LWL-Industriemuseum Zeche Zollern eröffnet

In der neuen Ausstellung "Zeit ist Geld. Industrielle Arbeitszeit und Zeiterfassung" auf der Zeche Zollern in Dortmund lädt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) ab Sonntag, dem 21. Dezember, zu einem Gang durch die Welt der Arbeitszeitkontrolle ein. Er beginnt mit den Wächtern in der Nacht, zeigt die Bedeutung der Fassaden- und Turmuhren, führt ein in die komplizierte Technik und Funktion der Kontrollapparate und endet in einer Installation, in der auch die aktuelle Diskussion um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit visualisiert wird. Zu sehen sind rund 80 Exponate aus zwei Jahrhunderten, darunter viele Zeiterfassungsgeräte aus dem Uhrenmuseum Villingen-Schwenningen.

"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?"

Über Jahrhunderte bestimmten die Rhythmen der Natur den Arbeitstag. Er begann mit dem ersten Hahnenschrei und endete mit dem Einbruch der Nacht. Bei Eis und Schnee standen Mühlen und Hammerwerke still, und das Handwerk musste ruhen, wenn die Zeit zur Ernte gekommen war. Mit der Industrialisierung endete diese Ära. "Die Arbeitsteilung in der Fabrik erforderte einheitliche Arbeitszeiten und unterwarf die Menschen dem Rhythmus der teuren Maschinen. Nachdrücklich forderten Fabrikanten pünktlichen Arbeitsbeginn, striktes Einhalten von Pausen und regelmäßige Schichten", erklärte Museumsleiterin Dr. Ulrike Gilhaus am Donnerstag bei der Vorstellung der Schau. Der Wert der Arbeit bemaß sich jetzt nach der geleisteten Arbeitszeit: Zeit wurde Geld. Die Idee der Kontrolluhr war geboren.

Doch noch bevor die "Stechuhr" als Kontrollinstrument in den Fabriken und Kontoren Einzug hielt, konstruierten Uhrenfabrikanten aus dem Schwarzwald 1805 eine Kontrolluhr für Nachtwächter: Im Interesse der öffentlichen Sicherheit sollten die Nachtwächter nun nicht mehr nur durch regelmäßiges lautes Singen zeigen, dass sie selbst wach und wachsam waren, sondern zu festgelegten Zeiten diese Kontrolluhren bedienen, um nachzuweisen, dass sie ihre Rundgänge ordnungsgemäß absolvierten.

Im Takt der Maschine

Kontrolluhren, Arbeitszeitmessgeräte und Fabrikuhren belegen eindrücklich, dass die Industrialisierung Arbeiter und Angestellte in den Betrieben einer "fremdbestimmten" und immer gleichen Arbeitszeit unterwarf. Sie verdrängten vorindustrielles Brauchtum, etwa das Gebet vor der Arbeit. Stechuhr und Fabrikuhr wurden zu Symbolen einer anonymisierten Herrschaft des Unternehmens, die die bisherige Freiheit des Kommens und Gehens beendete. Heute prägen diese Rhythmen und Strukturen nicht nur die Arbeitswelt, sondern unsere gesamte Kultur: Pendlerströme, Ferientermine, Freizeitindustrie und "after work-parties" bezeugen, dass wir nicht mehr Herr unserer eigenen Zeit sind, sondern im Strom gesellschaftlicher Gezeiten schwimmen.

Technische Neuerungen ermöglichten die immer genauere Erfassung von Zeitabläufen, die Dokumentation von Arbeitsabläufen bis hin zur Kontrolle von Online-Arbeitsplätzen zu Hause. Die Darstellung der technischen Geschichte der Kontrolluhren reflektiert damit auch die aktuellen Diskussionen über Risiken und Folgen von Flexibilisierung, Bereitschaftszeiten oder die Anforderung, jederzeit "auf Abruf" zu arbeiten. "Es geht hier also auch um eine der wichtigsten Fragen der aktuellen Industriegesellschaft – das Verhältnis von Arbeit und Freizeit, oder anders ausgedrückt die Frage: Wie wollen wir leben?", so Museumsleiterin Dr. Ulrike Gilhaus.

Begleitprogramm:

Sonntag, 25. Januar, 15 Uhr
Metropolis
. Deutscher Stummfilm von Fritz Lang aus dem Jahre 1927 (139 Min.) über soziale Konflikte in einer von Maschinen gesteuerten Welt

Dienstag, 17. Februar, 19.30 Uhr
Arbeitszeit und Freizeit am Beispiel der Hüttenindustrie
.
Bildvortrag von Prof. Dr. Wessel

Sonntag, 1.März, 15 Uhr
Momo. Verfilmung des Märchenromans von Michael Ende über Zeitdiebe von Johannes Schaaf (1986). Für Kinder ab sechs Jahren

 

Zeit ist Geld. Industrielle Arbeitszeit und Zeiterfassung

21. Dezember 2008 bis 1. März 2009
LWL-Industriemuseum Zeche Zollern www.zeche-zollern.de
Grubenweg 5, 44388 Dortmund-Bövinghausen
Geöffnet Di – So 10 – 18 Uhr
Das Museum ist Weihnachten (24.-26.12.08), Silvester und Neujahr geschlossen

(Text- und Bildquelle: LWL-Pressestelle)