Archiv für den Monat: Dezember 2007

Duisburg: Für das NRW-Landesarchiv wird historischer Speicher im Innenhafen erweitert

Nach dem Entwurf des Büros Ortner und Ortner Baukunst aus Wien, die den Architekturwettbewerb für sich entscheiden konnten, soll der RWSG-Speicher um einen Turm, der sich aus der Mitte des Gebäudes bis in 65 Meter Höhe erheben soll, erweitert werden. An den Speicher, der die 140.000 Regalmeter des Archivs aufnehmen wird, schließt sich dann in Richtung Holzhafen ein geschlängelter 120 Meter langer Anbau in Backsteinoptik an. Darin werden die Büros für die 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die öffentlichen Einrichtungen untergebracht. Drei Viertel des Anbaus werden zunächst als Büroraum auf dem freien Markt angeboten und sollen später dem Landesarchiv seinen Anforderungen folgend übergeben werden.

RSWG.frei.neu.jpgSiegerentwurf des Architekturbüros Ortner und Ortner Baukunst, Wien

Baubeginn für das rund 80 Millionen Euro teure Objekt soll im zweiten Quartal 2008 sein. Kulturstaatssekretär Grosse-Brockhoff erwartet die Fertigstellung pünktlich zum Kulturhauptstadtjahr 2010.

Das Landesarchiv wird mehrere – bisher teilweise in anderen historischen Gebäuden untergebrachte – Abteilungen in Duisburg konzentrieren und nach Fertigstellung über den bundesweit größten Archivbau verfügen. Bauherr, Investor und Entwickler des Projektes ist die Essener Kölbl Kruse GmbH, die u.a. auch im Kölner Rheinauhafen tätig ist.

Meldung im Innenhafen-Portal

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Von links: Dr. Ralf Oehmke, Innenhafen Duisburg Entwicklungsgesellschaft; Stephan Kölbl und Dr. Marcus Kruse, Kölbl Kruse GmbH; Prof. Karl-Heinz Petzinka, Petzinka Pink Architekten; Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, NRW-Kulturstaatssekretär; Lauritz Ortner, Ortner und Ortner Baukunst; Walter von Lom, Architekt; Prof. Dr. Wilfried Reininghaus, Landesarchiv NRW; Herr Wiswedel, Ortner und Ortner Baukunst; Jürgen Dressler, Planungsdezernent Stadt Duisburg (Foto: Koelbl Kruse GmbH)

Wiehl (Bergisches Land): Streit um die Wiehltalbahn geht weiter

Die von der Strecke Siegburg – Gummersbach bei Osberghausen abzweigende Strecke wurde schrittweise zwischen 1897 und 1908 eröffnet und 1997 stillgelegt. Es folgte Museums-Sonderverkehr, auch in Verbindung mit dem nahegelegenen Eisenbahnmuseum Dieringhausen, bis die Strecke 2007 sogar wieder gewerblichen Güterverkehr zum Abtransport von Holz nach den Schäden durch den Orkan Kyrill sah. Bereits im Jahre 2003 wurde die gesamte Strecke unter Denkmalschutz gestellt. Seit aus dem Museumsbetrieb jedoch eine – private – Betreiberfirma mit langfristiger Betriebsgenehmigung werden soll, lehnten sich mehrere anliegende Gemeinden auf und verlangten die Entwidmung der Strecke. „Die Städte“ – so schreibt „Die Zeit“ vom 19. Dezember 2007 – „wollten plötzlich erkannt haben, dass das längst vergessene Gleis allerorten privaten und öffentlichen Investitionen im Wege steht – vor allem Straßenbauprojekten“.

Am 14. Dezember hatten die private RSE (Rhein-Sieg-Eisenbahn) und der Förderkreis zur Rettung der Wiehltalbahn e.V. auf einer Pressekonferenz auf die aktuelle Lage und die sich daraus auch für andere Privat- und Museumseisenbahnen ergebenden Konsequenzen. Zu den Referenten gehörten Horst Klein, Vizepräsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen, Heimo Echensperger, Vorsitzender des Verbandes Deutscher Museums- und Touristikbahnen, sowie renommierte Verkehrsjuristen.

Zur Pressekonferenz erschien eine 27-seitige Dokumentation.

Weitere websites in diesem Zusammenhang:
www.wiehltalbahn.de (Förderkreis zur Rettung der Wiehltalbahn)
www.rse-bonn.de (Rhein-Sieg-Eisenbahn)
www.vdmt.de (Verband deutscher Museums- und Touristikbahnen)
www.vdv.de (Verband deutscher Verkehrsunternehmen)
www.eisenbahnmuseum-dieringhausen.de/

BHFMorsbach450.jpgBahnhof Morsbach

Berlin/Niederfinow: Schiffshebewerk wird erstes „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst“ in Deutschland

Wie die Bundesingenieurkammer mitteilte, will sie damit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf historische Beispiele der großen Ingenieurbaukunst in Deutschland lenken.

Die Auszeichnung wurde vom Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesbauministerium, Achim Großmann, vorgenommen. Die Bundesregierung unterstützt die Auszeichnung von technischen Wahrzeichen im Rahmen der Initiative Baukultur mit 30.000 Euro.

Am Festakt am Schiffshebewerk mit feierlicher Enthüllung der Tafel nahmen zahlreiche Ehrengäste aus Politik, Baukultur und Medien teil. Das Schiffshebewerk Niederfinow ist das älteste der heute in Deutschland im Betrieb befindlichen deutschen Hebewerke. Es ist seit seinem Bau und bis heute ein Publikumsmagnet, weil hier die Besucher deutlich spüren, dass eine Ingenieurtat zur Baukunst geworden ist.

Große Technik für große Herausforderungen

Das Schiffshebewerk liegt an der Havel-Oder-Wasserstraße. Sie entlastet den alten Finowkanal aus dem 18. Jahrhundert. Als der Kanal 1914 als „Hohenzollern-Kanal“ in Betrieb genommen wird, ist Berlin mit seinen 4,5 Millionen Einwohnern die größte Industriestadt Europas. Die braucht eine leistungsfähige Wasserstraße. Über den neuen Kanal und die Oder wird die Wirtschaftsmetropole Berlin mit seinem Ostseehafen an der Mündung der Oder verbunden. Der heißt Stettin und die Oder fließt noch durch die Mitte Deutschlands.

Die größte technische Herausforderung im Verlauf der neuen Wasserstraße ist die Überwindung eines Geländesprungs von 36 Metern Höhenunterschied  im Eberswalder Urstromtal bei Niederfinow zwischen Oderbruch und Barnim. Seit 1898 suchen Ingenieure nach Lösungen für eine schnelle Überwindung dieses Oderauf- und -abstiegs. Als Abstiegsanlage käme eine Treppe aus vielen Schleusen, alternativ auch eine geneigte Ebene wie beim Oberländischen Kanal in Ostpreußen in Betracht. Bei den geneigten Ebenen handelt es sich um einen Schrägaufzug mit Trockenförderung, bei dem Schiffe mit Hilfe eines Transportwagens, der auf Schienen läuft (auch Schiffseisenbahn genannt) aus dem Wasser herausgezogen und auf die nächst höhere bzw. niedrigere Ebene „trocken“ transportiert werden.

Große Werke der Technik sind immer auch ein Mittel politischer und wirtschaftlicher Repräsentation. Niederfinow ist damals eine prominente Gegend. Hier betreibt der damalige Kanzler des Kaiserreichs und preußische Ministerpräsident Theobald von Bethmann-Hollweg (*1856; † 1921) eine Dampfschneidemühle und eine Ziegelei. In Niederfinow entscheidet man sich auch deshalb für eine noch anspruchsvollere Lösung als Schleusentreppen und Schrägaufzüge. Niederfinow soll ein „Senkrecht-Hebewerk mit Gegengewichtsbetrieb“ werden. Als einziges Studienobjekt kann zum Zeitpunkt dieser Vorentscheidung um 1908 das Hebewerk Anderton in England dienen.

Der Erste Weltkrieg und seine Nachwirren unterbrechen die Fertigstellung der Havel-Oder-Wasserstraße. Im Jahr 1923 treten die Planungen für den Bau des Senkrecht-Hebewerk im Niederfinower Geländesprungs in eine konkrete Phase ein. Der Entwicklung in der Binnenschifffahrt zu größeren Schiffen folgend, sollen jetzt Schiffe bis 1.000 Tonnen Tragfähigkeit passieren können. Für die Planungen verantwortlich ist die Reichswasserstraßenverwaltung des Reichsverkehrsministeriums. In dem ist die Bereitschaft zu konstruktiver Fantasie und zu neuen Lösungen vorhanden. Man hält an der gewählten Vorkriegslösung fest.

Die Ministerialräte Burkowitz, Ellerbeck und Loebell sind nach dem Ersten Weltkrieg im Ministerium die für die Havel-Oder-Wasserstraße zuständigen Ingenieure. Seit 1921, so hat Eckhard Schinkel für seine Publikation „Das alte Schiffshebewerk Niederfinow“ recherchiert, hat der Oberregierungsbaurat Alfred Loebell an einem neuartigen Antriebs- und Sicherheitssystem für Senkrecht-Hebewerke gearbeitet.

Am 11. Februar 1922 meldet er einen „Selbstsperrenden Antrieb für Schiffshebewerke und schwere Aufzüge großer Hubhöhe“ zum Patent. Ein Jahr danach legt er sein Konzept für ein Schiffshebewerk „mit nachgiebig gelagertem Ritzel“ vor. Im März 1923 weist das Reichsverkehrsministerium sein Neubauamt an, den Hebewerksentwurf des Oberregierungsbaurats Loebell zu prüfen. Loebell hat sich mit seinem Entwurf gegenüber seinem Kollegen Ellerbeck, der einen eigenen Hebewerksentwurf in den Findungsprozess eingebracht hat, durchgesetzt. 1924 kauft das Reichsverkehrsministerium Loebells Patent an.

Die Lösung: „Senkrecht-Schiffshebewerk mit Gegengewichtsbetrieb“

In Niederfinow sollen in einem mit Wasser gefüllten Trog Binnenschiffe und Leichter schwimmend gehoben und gesenkt werden. Bei diesem Vorgang ist der Trog auf beiden Seiten durch Hubtore abgeschlossen. Während beim klassischen Schleusenbetrieb viel Wasser verloren geht, wird bei der Auf- und Abwärtsbewegung des Troges kein Wasser verbraucht.

Das Gewicht des mit Wasser gefüllten Trogs (ca. 4.290 Tonnen) wird von 192 Beton-Gegengewichten ausgeglichen. Dem Prinzip des Archimedes folgend ist es gleich, ob sich ein Schiff im Trog befindet oder nicht. Denn dann strömt genau soviel Wasser ab oder zu, wie das Schiff wiegt.

Zur Bewegung des Trogs dienen vier Zahnräder, die an langen Zahnstockleitern auf- und niedersteigen – „klimmen“ sagt dazu der Ingenieur. Die Zahnräder werden durch vier Motoren angetrieben. Das Hebewerk ist letztlich ein gigantischer Aufzug.

Bei Aufzügen sind schon vor siebzig Jahren Sicherungseinrichtungen vorge­schrieben, die den Aufzugskorb im Fall eines Defektes oder eines Bruches an irgendeinem Teil sofort in seiner Lage festhalten sollen und so verhindern, dass es zu einem Unfall kommt. Wird zum Beispiel der Trog leck und dadurch das Gleichgewicht zwischen Trog und Gegengewichten gestört, so klemmt die Sicherheitseinrichtung den Trog augenblicklich in seiner Lage fest. Noch während einer plötzlichen Betriebsstörung im Sommer 2000 hat das Sicherheitssystem seine volle Funktionsfähigkeit bewiesen.

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Das 60 m hohe Stahlgerüst ist nicht verkleidet, sondern zeigt die nackte Konstruktion. Zum Anschluss des Trog-Bauwerks an die obere Haltung dient eine 157 Meter lange stählerne Kanalbrücke mit 4.000 Tonnen Stahlgewicht. Ihre Belastung durch die Wasserfüllung kann bis zu 100 t auf den laufenden Meter ansteigen. Die Türme des Stahlgerüstes und die Kanalbrücke prägen das Erscheinungsbild.

Die gewählte ist nicht die einzig mögliche technische Lösung für den Auf- und Abstieg in Niederfinow. Aber so, wie es entwickelt und umgesetzt wird, ist das Hebewerk Niederfinow schon für die Zeitgenossen ein historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland. Und das ist es auch noch sieben Jahrzehnte nach der Indienststellung.

Bau und Betrieb

Das Schiffshebewerk Niederfinow ist in diesen Goldenen Jahren der Weimarer Republik ein staatliches Prestigeprojekt. Ein Modell zeigt die Reichswasserstraßenverwaltung schon 1925 auf der Deutschen Verkehrsausstellung in München. Die Bauarbeiten beginnen 1927. Seit der Inbetriebnahme am 21. März 1934 arbeitet das Hebewerk nahezu störungsfrei. Die „Restlaufzeit“ ist bis 2025 festgesetzt. An einem größeren Hebewerk in unmittelbarer Nachbarschaft wird bereits gearbeitet.

Aktion „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst“

Laut Bundesingeineurkammer will man „solche von der Genialität vergangener Ingenieurgenerationen kündende Leistungen“ auf Vorschlag ihres Präsidenten, Dr.-Ing. Karl Heinrich Schwinn, auch in Zukunft auszeichnen. Sie möchte damit die historischen Leistungen deutscher Ingenieure in das öffentliche Bewusstsein rücken und einen Beitrag zur Förderung des Berufsstands der Ingenieure leisten. Sie hofft, auch im Hinblick auf die gesunkenen Studentenzahlen im Bauingenieurwesen, durch eine solche öffentliche Würdigung junge Menschen für den Ingenieurberuf zu begeistern.

Zur Auswahl der Bauwerke hat die Bundesingenieurkammer einen wissenschaftlichen Beirat berufen, der bereits zwei Mal in Berlin getagt hat. Ein ausgezeichnetes Ingenieurbauwerk muss zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens 50 Jahre fertig gestellt sein. Es muss sich auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland befinden. Der Beirat hat eine – bereits im Internet veröffentlichte  – Liste mit 80 Objekten zusammengestellt, die für eine Auszeichnung in Frage kommen. Weitere Vorschläge sind ebenfalls möglich.

Unterstützt wird die Verleihung der Auszeichnung von einem gemeinnützigen Förderverein. Jeder Interessierte kann dabei durch Spenden an den Förderverein oder durch seine Mitgliedschaft einen Beitrag zur Sicherstellung der Fortführung des Projektes leisten.

Zur Verleihung erschien eine 68-seitige Broschüre über die Geschichte des Hebewerks Niederfinow, verfasst von Eckhard Schinkel, beim LWL-Industriemuseum zuständig für das Museum Schiffshebewerk Henrichenburg. Die Publikation kann bei der Bundesingenieurkammer bestellt werden: Bestellformular hier 

Weitere Information zur Aktion „Historische Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ auf der eigenen website.

(Artikel unter Verwendung von Pressematerial der Bundesingenieurkammer)

 Broschüre von 1934

Darmstadt: Firma Schenck RoTec: 100 Jahre auf der Spur der Unwucht

Ginge es nach Eberhart Fritsch, dann würde er bald in die Luft gehen. Denn was da am 23. August diesen Jahres auf dem Museumsgelände von Rolls-Royce unter ohrenbetäubendem Getöse startete, gibt allen Anlass zum Weitermachen. Unterstützt von sechs Auszubildenden ist es dem pensionierten Piloten gelungen, einen fast 100 Jahre alten Flugzeugmotor zu neuem Leben zu erwecken. Viel Geduld und jede Menge historische Recherche waren nötig, um die sieben maroden Zylinder des Sternumlaufmotors wieder flott zu machen. Moderne Auswuchttechnik spielte dabei eine entscheidende Rolle.

gnom.kl.jpg Restaurierter Flugzeugmotor "Gnom"

Deutschland 1907: Kaiser Wilhelm II. lässt sein Volk von Weltmacht und Kolonien träumen. Der Reichstag bewilligt Millionenkredite für den Flottenbau und zahlreiche Heeresaufträge lösen im Flugzeugbau einen Boom aus. Davon profitieren auch die Motorenwerke Oberursel (heute Rolls- Royce Deutschland), die den aus Frankreich stammenden Propellermotor vom Typ Gnom fertigen, mit dem auch der Rote Baron Manfred Freiherr von Richthofen abheben wird. Die Flugzeug-Ingenieure der Kaiserzeit bauen nach dem Umlaufprinzip: Sieben sternförmig angeordnete Zylinder drehen mitsamt Propeller um eine starre Achse. Ein zentraler Aspekt dieser gewagten Konstruktion ist das Auswuchten der rotierenden Zylinder. Die dazu benötigte Maschine liefert das Darmstädter Unternehmen Carl Schenck – und setzt damit einen Meilenstein in der deutschen Technikgeschichte.

Mit dem Festakt vom 23. August 2007 schließt sich ein Kreis: Damals wie heute ist es eine Schenck-Maschine, die dem Gnom einen präzisen Rundlauf verleiht. Zu Anfang war daran freilich kaum zu denken. Denn als Eberhart Fritsch den Originalmotor vor wenigen Jahren in Frankreich aufstöberte, befand er sich nach einem missratenen ersten Restaurierungsversuch in einem eher traurigen Zustand. Unterstützt von Erich Auersch, dem Leiter des Rolls-Royce Museums in Oberursel, ließ Fritsch den Motor zerlegen, Zeichnungen erstellen und in 2500 Arbeitsstunden wieder aufbauen. Sein Team löste allerlei Probleme – unter anderem auch das Auswuchten der rotierenden Zylinder. Nach Rat gefragt, runzelten die Fachleute von Schenck RoTec in Darmstadt allerdings zunächst die Stirn: Wie sollte man einen solch außergewöhnlichen Motorblock in eine Auswuchtmaschine des 21. Jahrhunderts einspannen? Glücklicherweise erinnerte sich Produktmanager Ralf Oftring an ein Bild aus dem Kalender zum 100-jährigen Schenck-Jubiläum, das die erste gelieferte Maschine zeigt. Zufällig ist auf der historischen Aufnahme jene Auswuchtanlage zu sehen, die zur Kaiserzeit nach Oberursel geliefert wurde – sogar mit einem Umlaufmotor vom Typ Gnom. Dank dieser Darstellung konnten die Experten von Schenck RoTec erkennen, wie der Motor eingespannt wurde und konstruierten nach diesem Vorbild eine moderne Anlage. Beim Auswuchten zeigte sich dann, wie präzise die Ingenieure schon damals zu Werke gingen. Denn was da nach dem Ausgleich noch an Restunwucht messbar war, kann vor heutigen Maßstäben durchaus bestehen.

Auswuchtmaschine für Oberursel

Die Übergabe der ersten mechanischen Auswuchtmaschine an die Motorenwerke Oberursel markiert den Einstieg des Unternehmens Schenck in die industrielle Auswuchttechnik. Den Boden bereitete ein zuvor abgeschlossener Lizenzvertrag zwischen Carl Schenck und dem Camberger Erfinder-Ingenieur Franz Lawaczeck, der am Problem der Rotorschwingungen gearbeitet und 1907 in seiner Schrift Zur Theorie und Konstruktion der Balanziermaschine eine praktikable Auswuchtlösung entwickelt hatte. Schenck erkennt das Potenzial dieser Überlegungen und erwirbt das Recht zur kommerziellen Nutzung. Sein unternehmerischer Mut sollte belohnt werden: Für viele Jahrzehnte setzt das Lawaczeck-Prinzip den Standard für schnelles Auswuchten im industriellen Maßstab.

Bis heute geben Luft- und Raumfahrt, aber auch Energie- und Elektroindustrie sowie allen voran die Automobilindustrie und der Maschinenbau die entscheidenden Impulse für Innovationen in der Auswuchttechnik. Während bis in die 30er Jahre mechanische Auswuchtmaschinen das Geschehen bestimmen, ermöglicht die Erfindung der Braunschen Röhre – technische Grundlage eines jeden Oszilloskops – die Realisierung elektrodynamischer Auswuchtsysteme, mit denen sich ab 1942 ungleich präzisere Ergebnisse erzielen lassen. Einen weiteren Qualitätssprung für die Auswuchttechnik bringt Anfang der 50er Jahre das wattmetrische Verfahren, mit dem die Unwucht in einem einzigen Messlauf bestimmt werden kann. Und der Lichtpunkt-Vektormesser vereinfacht dann ab 1953 die Darstellung und Interpretation der Messergebnisse erheblich.

Um den enormen Bedarf an Auswucht-Bauteilen in den Jahren des Wirtschaftswunders bewältigen zu können, setzt Schenck konsequent auf Automatisierung. Wachsende Bedeutung erfährt dabei ein Verfahren zur Großserien-Fertigung von Kurbelwellen: das Wuchtzentrieren. Erstmals wird damit beim Kurbelwellenrohling die aktuell gegebene Massenträgheitsachse ermittelt und mit entsprechenden Zentrierbohrungen fixiert. Als der Schock der Ölkrise 1973 dann die Energiegewinnung aus Kohle, Wasser- und Kernkraft voran treibt, erfährt die Betriebssicherheit großtechnischer Anlagen immer größere Bedeutung. Bei Schenck führen die wachsenden Ansprüche an Qualität und Zuverlässigkeit zur Entwicklung hochtouriger Auswucht- und Schleuderanlagen für Turbinen und Generatoren, in denen sich Rotoren mit bis zu 240 Tonnen Gewicht auswuchten lassen.

Etwa zur gleichen Zeit führt das Unternehmen das elektronische, wattmetrische Messverfahren ein, und 1974 bringt es die ersten Auswuchtanlagen mit Rechnersteuerung auf den Markt. In den 80er Jahren erobern dann Computer mit Mikroprozessoren die Mess- und damit auch die Auswuchttechnik. Bedienerführung im modernen Sinn wird möglich, und Schenck setzt mit dem Computer Aided Balancing (CAB) einmal mehr einen technologischen Markstein.

Unter Druck geraten durch die asiatische Konkurrenz, erhöht der Automobilbau in den 80er Jahren den Automatisierungsrad und optimiert die Qualitätssicherung. Inzwischen kommen bis zu 60 Elektroanker in einem Durchschnittsauto zum Einsatz – allein das zeigt den enormen Bedarf an Auswuchttechnik. Außerdem fahren die Autos immer schneller; neue Reifentypen entstehen – das Auswuchten von Reifen und Rädern wird zur technischen Herausforderung. Zugleich beginnen die Fahrzeughersteller damit, Reifen bereits in der Produktion auszuwuchten. Sie verwenden dazu hoch automatisierte Maschinen von Schenck.

In den Jahrzehnten darauf sind es vor allem der Personen- und Frachtluftverkehr sowie Satelliten- und Weltraummissionen, die großen Einfluss auf die Auswuchttechnik ausüben. Der Vormarsch der Strahltriebwerke im Flugzeugbau führt zur Entwicklung spezieller Vertikal- und Horizontalmaschinen. Außerdem liefert Schenck die erste Auswuchtmaschine für Satelliten und Raketen sowie Messtische für Massenträgheitsmoment und Schwerpunktwaagen.

Im Laufe der Jahrzehnte ist der Name Schenck zum Synonym geworden für hochwertige Auswucht-Technologie und wird heute repräsentiert im Unternehmensbereich Balancing and Diagnostic Systems der Schenck RoTec GmbH, einem Tochterunternehmen des Technologiekonzerns DÜRR AG. In allen Branchen stellen die Maschinen des Unternehmens sicher, dass rotierende Teile in Anlagen, Geräten und Fahrzeugen kontinuierlich die gewünschte Leistung bringen. Dabei reicht das Anwendungsspektrum heute vom miniaturisierten DC-Motor bis zum elektrischen Eisenbahnantrieb, vom einzelnen Zahnrad bis zur kompletten Lkw-Hinterachse, von der handbeladenen Prüflingsaufnahme bis zur vollständig vernetzten Prüfstraße. Die modular konzipierten Diagnosesysteme bieten Lösungen zur Messung, Bewertung und Überwachung eines jeden Merkmals. Zugleich entwickelt Schenck RoTec weiter moderne Auswuchtverfahren wie den Ausgleich durch Verwiegen von Pleuel oder das Abtragen durch Laserbeschuss.

Flugzeug vom Typ "Fokker E3"

Übrigens: Während die Entwickler bei Schenck RoTec bereits über die nächsten Innovationsschritte nachdenken, schraubt der passionierte Flieger Eberhart Fritsch die ersten Teile einer Fokker E3 zusammen. Der historische Eindecker soll dann vom restaurierten Gnom in die Lüfte getragen werden. Vielleicht sieht man Fritsch ja bald schon eine Ehrenrunde über das Werksgelände von Schenck RoTec in Darmstadt drehen.

Zum Unternehmen Schenck RoTec: hier
Unternehmensgeschichte: hier
Zum Werksmuseum Rolls-Royce, Oberursel: hier

(Text, Abb. 1-3: Schenck RoTec)

Leverkusen: Bayer-Kreuz bleibt erhalten

Wie das Unternehmen am 4. Dezember anlässlich eines Zusammentreffens von Firmen- und Stadtspitze nun mitteilte, soll das alte Bayerkreuz über dem Leverkusener Chemiepark bestehen bleiben. Anlässlich des Besuches von Vertretern der Stadt Leverkusen, die am Dienstagabend unter der Führung von Oberbürgermeister Ernst Küchler die Bayer-Zentrale besuchten, teilte Bayer-Vorstandsvorsitzender Werner Wenning den Erhalt der historischen Leuchtwerbung mit. „Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten gelernt, wie sehr die Menschen in und um Leverkusen offensichtlich an unserem Bayerkreuz hängen. Das hat uns natürlich sehr gefreut“, sagte Wenning. Ursprünglich hatte das Unternehmen geplant, das alte Firmenzeichen nach Fertigstellung der neuen Medienfassade an dem ehemaligen Verwaltungs-Hochhaus zu demontieren. „Viele Menschen in und um Leverkusen möchten die nachts weithin leuchtenden Buchstaben, mit denen sie viele Erinnerungen verbinden, auch weiterhin als traditionelles Symbol für unser Unternehmen und ihre Stadt sehen. Diesen Wünschen wollen wir uns nicht verschließen. Deshalb haben wir beschlossen, neben dem Hochhaus auch das alte Bayerkreuz an seinem bisherigen Standort stehen zu lassen.“ Mit der Umgestaltung des Hochhauses zur Medienfassade soll dann auch das Firmensymbol in moderner Gestaltung und zeitgemäßer Form sowie in den aktuellen Farben Tag und Nacht präsentiert werden. Es wird nach heutigem Stand die größte Medienfassade der Welt sein. „Wir werden sehen, wie die beiden Kreuze und die Fassade zusammen wirken“, so Wenning.

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Die Umbauarbeiten des ehemaligen Verwaltungs-Hochhauses haben bereits begonnen. Nachdem das Gebäude entkernt ist, wird es mit einem transparenten und wetterbeständigen Edelstahlgewebe mit einer Gesamtfläche von 17.000 Quadratmeter umhüllt. In das Gitter werden 3,5 Millionen LED-Leuchten eingebaut und machen – gespeist unter anderem mit Strom aus einer Photovoltaik-Anlage – bewegte Bilder und Lichtinszenierungen sichtbar. Die fortschrittliche Technik erlaubt auch – unabhängig von der Tageszeit – eine 40 mal 40 Meter große Darstellung des aktuellen, farbigen Bayerkreuzes auf der Ost- und Westfassade des Gebäudes.

Empfehlung: Wikipedia-Stichwort "Bayer-Kreuz" hier

(Fotos: Bayer AG)

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