Archiv für den Monat: Mai 2007

Clubkultur als Clubwirtschaft – das Beispiel Berlin

Mit dem Ende der DDR ist Berlin zum Übergangsraum in vielerlei Richtungen geworden. Für einen historischen Augenblick stand die Stadt sogar im Mittelpunkt des Weltgeschehens: Nach dem Mauerfall am 9. November 1989 kam die deutsch-deutsche Vereinigung, am 20. Juni 1991 die Entscheidung für Berlin als Hauptstadtsitz, danach die Klärung von Eigentumsfragen sowie der Regierungsumzug. Zum alten Berlin-Gefühl gesellte sich nun ein neues: Gefühlsverwirrung zwischen Abschied und Aufbruch. Abschied allerdings, so schien es, war eine Vokabel, die es nur im östlichen Stadtteil gab. Ostberlins morbider Charme wich einer spekulativen Geschichtslandschaft, deren Bilder Ereignisse und Persönlichkeiten der lokalen, deutschen und auch europäischen Geschichte wiedergaben, die man hier seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gesehen hatte. Was zwischen heute und früher lag, die DDR, schien auf einmal vergessen und ausgelöscht.

Doch da gab es noch ein weiteres "neues" Berlin. Die alternativen Milieus sowohl im West-, als auch im Ostteil der Stadt waren immer schon Anziehungspunkte wegen der vielen Nischen, die Experimentierfreudige und Querdenker dort fanden. Auch Berlins politische und ökonomische Sonderangebote wurden gern genutzt. Durch die Maueröffnung erhöhte sich die Magnetkraft Berlins noch um ein Vielfaches, und zwar wegen der Mietskasernen und Gewerbekomplexe von Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain, die zu Beginn der 1990er Jahre zur Projektionsfläche frei flottierender Ideen und Träume junger Erwachsener wurden. Diese Ost-Berliner Stadtbezirke waren während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert entstanden und nach dem Zweiten Weltkrieg ohne bedeutende Industrieanbindung stehen geblieben. Das Berlin-Gefühl präsentierte sich hier in der bröckelnden Eleganz alter Stuckfassaden und Ladenaufschriften. Titel und Herkunft zählten erst mal nichts, Talente und Selbstbehauptungswillen hingegen alles.

Diese Eindrücke brachten mich zehn Jahre nach dem Mauerfall auf die Idee, den Umgang Jugendlicher und junger Erwachsener mit Musik und Medien zum Gegenstand meiner musiksoziologischen Forschung zu machen. Innerhalb eines örtlich und zeitlich begrenzten Forschungsfeldes ging ich zwischen 2000 und 2002 empirisch vor mit der eigenen Person vor Ort anhand von Erhebungsmethoden aus der Stadtkulturforschung. Es galt, Musik als Klangort zu beleuchten, in den sie von jungen Menschen eingebunden und mit Gestalt umgeben wird. In dem nun folgenden Fokus scheinen spektakuläre Räume auf, die Alternativen geben zu den angestammten Orten von Kultur.

1. Niemandsland

Während auf den politischen Festakten zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung Musik von Ludwig van Beethoven und Richard Wagner erklang, wurde in den wenigen Berliner Tanzclubs, in denen seit Ende der 1980er Jahre DJ-Musik aufgelegt wurde, durch den Zufall der Ereignisse Techno zum Soundtrack des Mauerfalls. Das gleichermaßen von West- und Ost-Berliner Jugendlichen geteilte Erlebnis, die Berliner Mauer als Mauerspechte mit den eigenen Händen zu zerstören, erweiterte sich zum Gefühl, von heute auf morgen auch die eigene Lebenswelt eigenmächtig verändern zu können. Dies induzierte euphorische Stimmungen, die mit den treibenden Klangbewegungen des ursprünglich Detroiter Technos amalgamierten und den Bedeutungen dieser Musik einen Berliner Kontext gaben. Denn Ost-Berlin gab neue Raumformen frei: einerseits komplett möblierte Wohnungen, die DDR-Bürger auf ihrer Flucht über die grüne Grenze Ungarns in den Westen hinter sich gelassen hatten, andererseits den Leerstand in funktionslos gewordenen Gewerbekomplexen, der das Resultat sozialistischer Stadtkonzeption war, und schließlich auch den frei gewordenen Raum entlang des Mauerstreifens mit seinen Bunker- und Tunnelanlagen aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg. An solchen Orten trieben die wummernden Technosounds die Tanzenden zum buchstäblichen Befreiungstanz. Denn über die physische Kraftanstrengung konnte man die umwälzenden Ereignisse des politischen Tagesgeschehens nicht nur diskutieren, aufarbeiten und kognitiv verarbeiten. Im Berliner Bedeutungsfeld brachte maschineller Technoklang die Jugendlichen vor Ort dazu, die Politik des Kalten Kriegs in Feierlaune körperlich abzuarbeiten und zu beenden.

Doch während sich bei so manchem DDR-Jugendlichen das Gefühl der Befreiung aus den als normierend erlebten Gesellschaftsstrukturen alsbald in eine Katerstimmung verwandelte angesichts der Demontage von Vertrautem, auch in dessen Negativität, brachten viele, die aus dem Westen kamen und bei den aufregenden Ereignissen in Berlin dabei sein wollten, auch gleich ihren Lebensstil des Andersseinwollens mit. Sie nahmen sich das, was die DDR übrig gelassen hatte – vor allem Hausrat, Kleidung und Mobiliar – und fühlten sich einzigartig in diesem Ambiente. Manch einer erhoffte sich gar von der Verlagerung seines Wohnorts in den Osten eine soziale Aufwertung seiner Lebenswelt. Tatsächlich aber folgten viele beim Gang dorthin dem Schema, das ihnen vertraut war. Denn nur geringen Aufwand bei der Ausgestaltung von Clubräumen zu investieren und wenig Verlust bei Existenzgründungen zu riskieren, stimulierte viele, die gerade zwischen Ausbildung und Berufsleben standen, zum Gang in die wirtschaftliche Selbstständigkeit. Über die Miete per Zwischennutzungsvertrag und die Anmeldung eines Gewerbes konnte man mit nur geringen finanziellen Mitteln eines erforderlichen Startkapitals eigene Gewerbe gründen, so zum Beispiel im Deckmantel einer Kunstgalerie, womit man dann als Betreiber eines Clubs, der oft nicht größer war als eine Zweiraum-Wohnung, die für eine Diskothekengastwirtschaft nötige Konzession beim Gewerbeaufsichtsamt elegant umging. Als Galerieclub getarnt, der in erster Linie zum Tanzen genutzt wurde, sparte man die Lizenzgebühren für den Ausschank, die Auflagen des Bauamtes für Raum- und Türhöhe, Notausgänge, Feuerschutz, Belüftung, Sanitärbereich, Schallschutz und so weiter und auch die Lebensmittelüberwachung nach dem Betäubungsmittelgesetz – summa summarum also Steuern und hohe Eintrittspreise.

Begünstigt wurde dieses Tun noch durch das juristische Vakuum in der Stadt. Berlin war fast eine regelungsfreie Zone, und das konnte man ausnutzen. Nach dem Mauerfall führte die Abwicklung des ehemaligen DDR-Verwaltungsapparats gerade zwischen 1990 und 1991 zu einer zeitweiligen Sprach- und Orientierungslosigkeit in der Stadtpolitik. Eine mögliche Integration Ost-Berliner Magistratsstrukturen im Sinne eines Magisenats war für den West-Berliner Senat ideologisch von Vornherein nicht vertretbar gewesen. Stattdessen begannen die West-Berliner Beamten nach der Wiedervereinigung sofort mit der Einweisung der Angestellten aus dem Osten in die westliche Bürokratie. Dies brachte viel Aufregung und Irritation, hatte aber auch einen interessanten Nebeneffekt: Unklare Zuständigkeitsbereiche für Ost-Berliner Stadträume begünstigten spontane Raumaneignungen besonderer Art. Kein Wunder, dass ausgerechnet im Ost-Berliner Bezirk Mitte derartiges sich vollzog. Wer aus DDR-Zeiten noch im Verwaltungsapparat verblieben war, sah mitunter gerade in den neu entstehenden Clubs das geeignete Mittel, bis zum Abriss oder zur Sanierung der Gebäude die angestammte Stadtkultur nicht sterben zu lassen. Und in einer Zeit, in der die staatlichen Förderungs- und Subventionsmaßnahmen sowohl in Ost- als auch in West-Berlin zunehmend versiegten, zeigte dieses Bestreben allergrößte Wirkung. Viele westdeutsche und ausländische Studenten, Intellektuelle und Künstler wandten sich nun unmittelbar nach Ost-Berlin, um die ungeklärten Eigentumsverhältnisse für sich zu nutzten, vor allem als Gewerberäume für finanzschwache Projekte. Die engagierte Vergabepolitik des Bezirksstadtrats von Berlin-Mitte machte leerstehende Läden und Altbauwohnungen zwischen Tor- und Oranienburgerstraße, August-, Friedrich-, Chaussee- und Rosenthaler Straße zugänglich, und zwar schnell und unbürokratisch über befristete Mietverträge. Die Zwischennutzung mit einer tendenziellen Laufzeit zwischen ein oder zwei Jahren sollte die Bausubstanz dieses Areals, das zum Flächendenkmal erklärt worden war und daher zunächst für große Investoren uninteressant blieb, vor dem Verfall schützen.

Und genau diese Möglichkeit, leer stehende Räume preiswert zu mieten, machten sich wegen der ausbleibenden Investoren und Alteigentümer vor allem viele Kunststudenten und Künstler zu Nutze. Sie nahmen sich einfach, was da war. Wo es in der Oranienburger Straße früher einmal Obst und Gemüse oder Waren des täglichen Bedarfs zu kaufen gab, wirkte das Ladenschild nun wie der Logoeinfall eines Locationsdesigners. Oftmals erst nachdem sie bereits einen Raum spontan besetzt hatten, um darin zu proben, zu experimentieren und sich zu treffen, gründeten sie nachträglich gemeinnützige Vereine oder Galerien als Gewerbe. Deren häufigste gewählte Rechtsform war die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), denn über das notwendige Kapital zur Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) verfügten die wenigsten. Nur wenige bekamen öffentliche Förderungsmöglichkeiten, so etwa eine Kofinanzierung durch den Bezirk oder, wenn es sich um ungenutzte kommunale Räumlichkeiten handelte, auch durch das Land Berlin. Doch wichtig war der Status als Gewerbetreibende überhaupt. Denn damit konnte man leicht zu Mietverträgen kommen und somit auf eine legale Form der Zweckentfremdung von Räumen zurückgreifen. Die Ost-Berliner Gewerberäume, die gleichermaßen als Tanzclubs genutzt wurden, bildeten somit durch die räumliche, soziale, kulturelle und politische Situation der Nachwendezeit den kulturellen Resonanzboden einer – Achtung – für Berlin ganz spezifischen Clubkultur.

2. Der Club als Firma

Eine längerfristige Existenzabsicherung über Fremdträgerschaften, Steuervergünstigungen und Kredite war wegen der kurzfristigen Mietverträge jedoch kaum möglich. So blieb die Zeit der Gründungseuphorie nicht von Dauer. Die Veränderungsprozesse, die zunächst eine kulturpolitische Ausnahmesituation verursacht hatten und zur Ansiedlung einer Clubkultur in Berlin-Mitte führten, wurden wegen der Zentrumslage bald manifester spürbar als in anderen Ost-Berliner Stadtteilen. Berlin als neuer Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland entwickelte sich in Richtung eines Dienstleistungs-, Kultur- und Wissenschaftsstandorts. Die Ansiedlung neuer Bevölkerungs- und Firmengruppen aus den alten Bundesländern als Folge von Restitutionsansprüchen, der Hauptstadtentscheidung und den bis Mitte der 1990er Jahre bestehenden Sonderkonditionen für steuerlich interessante Abschreibungsmodelle in Bauzusammenhängen förderte unzählige Bau- und Sanierungsvorhaben und damit die Aufwertung der Ost-Berliner Altbauviertel. Folge: Wo innovative Beginner lebten, ließen sich auch Gastronomen, Medien- und Lifestyle-Dienstleister nieder. Investoren kamen, deren Umsatz das Land Berlin als Finanzspritze zum Umbau als Medien- und Wissenschaftsstandort dringend brauchte, und Miet- und Grundstückspreise stiegen an. Das zu Beginn der 1990er Jahre noch preiswerte Leben und Arbeiten im Ost-Berliner Stadtgebiet trug somit nicht nur zu seiner kulturellen Aufwertung bei. Urbane Fantasien von Berlin als Weltmetropole machten den Raum teuer und damit knapp.

Wer sich darum nicht ganz pfleglich in eine neue Phase mit Familie und sanierter Altbauwohnung hinein entwickeln wollte, der hatte die Wahl zwischen der Standortflucht vor Investoren oder der Flucht in die Professionalisierung. Die existenzielle Neuorientierung begann. Denn wirtschaftlich relativ abgesicherte, mithin längerfristige Standortmöglichkeiten bedurften betriebswirtschaftlich funktionierender Finanzierungsmodelle mit entsprechendem Verwaltungsaufwand und Mitarbeiterstab. Darum wurden nach und nach aus einem Freizeitspaß im Freundeskreis professionelle Berufe, aus Gleichgesinnten Geschäftspartner und aus Ideen Dienstleistungen, die man sich gegenseitig bezahlt. Heraus kam eine auf Clubs orientierte Wirtschaftsform, die den Aufbau lokaler Szenen um elektronische Tanzmusik überhaupt erst möglich machte, und zwar durch ihre arbeitsteilige Struktur: Mit Bars, Clubs, kleinen Plattenlabels und -läden, Kleinstfirmen für Veranstaltungs- und Öffentlichkeitsarbeit und Multimedia-Agenturen wurde das wirtschaftliche Fundament eines Lebensentwurfs geschaffen, in dem man seinen auf Musik, Design, Fotografie, Architektur und auf alle möglichen Lifestyle-Produkte bezogenen Ideen nachgehen kann, gleichzeitig aber auch seinen Lebensunterhalt verdient.

3. Einsichten und Aussichten – ein Resümee

Dieses Bemühen mag man nun als neoliberales Ideal der Selbstbestimmung und als Ökonomie der Freiheit feiern – oder darin doch eher skeptisch den kalten Wind der Selbstverantwortung empfinden. Denn ein derartiger Lebenswentwurf ist in seinen Kunst-, Lebens- und Arbeitsräumen so stark verzahnt, dass man diese Räume gar nicht mehr auseinander halten kann. Man lebt eine Identität als Künstler und als Unternehmer und verkauft das eigene Leben als Kunst und Kulturgut. Tendenziell löst sich in der Clubwirtschaft, die vorgibt, eine Clubkultur zu sein, wohl alle Freizeit wieder in Arbeitszeit auf. Das ist der Lebensentwurf eines neuen Kleinbürgertums, dessen Handlungsfeld mittlerweile in den Kulturwissenschaften unterm Schlagwort "Creative Industries" diskutiert wird. Eine derartige Kreativwirtschaft befördert den wirtschaftlichen Aufschwung von Regionen und Städten mit verschiedenen Formen und Stufen der Erstellung, Produktion und Verbreitung von kulturellen und künstlerischen Produkten, denen ein hoher Symbolcharakter anhaftet. Das klingt zunächst bedeutsam und neu, doch wenn man es genau nimmt, entpuppt sich die Symbolik, die der Kreativitätsbegriff transportiert, als trügerisch. Denn Kreativität steht nur als Mode- und Zauberwort für Fantasie, Innovation und Produktivität – für das Talent also, aus einem Überfluss von Einfällen ganz spezifische herauszusuchen, in Aktion umzusetzen und zu vermarkten.

Die Prozesse, die dabei eine Rolle spielen, finden sich auch in Berlin wieder: Die Industriekultur der ehemaligen Arbeiterstadt verschwindet wegen Deindustrialisierung, gesellschaftlichem Strukturwandel und Umorganisation der städtischen Infrastruktur, es folgt die soziokulturelle Aufwertung der Stadt in vielerlei Form, die umgeleitet wird in diverse Kulturformate. Und die münden schließlich in stadtbezogene Kulturindustrien im Miniformat. Die meist jungen Akteure solcher Lebens- und Arbeitsmodelle sind sich ihrer kulturellen Avantgarderolle bewusst, doch zugleich geht es ihnen darum, den eigenen Lebensstil exemplarisch vorzuleben und als Vorbild zu verkaufen. Wer also vor fast zwanzig Jahren mit Techno groß wurde und sich mit einer Firma gewinnbringend professionalisierte, ist heute oftmals ein Teil der Musikwirtschaft oder dieser Branche als Forschungs- und Entwicklungslabor zumindest vorgelagert. In Akteursnetzen und räumlicher Nähe zusammengeschlossen, beziehen diejenigen, die einmal Hausbesetzer waren und jetzt Firmenbetreiber sind, sowohl im Berliner Stadtraum, wie auf transterritorialen Märkten, als Unternehmer öffentlich Position. Das ist ein Kreislauf, den es seit der Erfindung des Teenagermarktes gibt und in dem Kulturschaffende beim biografischen Gang durch die Institutionen der Kulturindustrie ihr Szenewissen auf die Marktstrukturen übertragen.

Man mag diesen Kreislauf, in dem das Wirtschaften mit hochgradig aufgeladenen Symboliken neue Werte hervorbringt, im Untergangsszenario der kulturindustriellen Manipulation beschreiben und darin zwangsläufig seinen Kulturpessimismus erneuert sehen. Den negativen Mechanismen kann man allerdings auch diverse positive Beispiele für eine gelungene Eigenträgerschaft entgegenhalten, die gesamtgesellschaftlich bedeutsam sind, weil alle davon etwas haben. So etwa das Kulturhaus Tacheles an der Ost-Berliner Oranienburger Straße/Ecke Friedrichstraße. Diese im Februar 1990 von Künstlern, Intellektuellen und Trebegängern aus West und Ost besetzte Ruine war vor dem Krieg ein jüdisches Warenhaus gewesen und konnte durch die Besetzung vor ihrem drohenden Abriss bewahrt werden. Mit seinem Namen – Tacheles ist jiddisch und bedeutet, ein Streitgespräch zu führen – verweist es auf den genius loci des umliegenden jüdischen Quartiers (Centrum Judaicum) ebenso wie auf die ständigen Querelen um Eigentumsfragen und Investitionsverhandlungen. Die Crux: Um das Haus auch weiterhin erhalten zu können, musste es bewirtschaftet werden. Darum wurden Räume eingerichtet für Konzert- und Theaterveranstaltungen und daneben ein Kino, ein Café, ein Fotolabor sowie Werkstätten und Verkaufsatelliers. In den Jahren von 1991 bis 1997 erhielt das Tacheles eine Förderung vom Land Berlin in Form von Arbeitsfördermaßnahmen, und das Kulturbezirksamt stellte zudem regelmäßig öffentliche Mittel aus dem Fond für dezentrale Kulturarbeit bereit. Die meisten Haushaltsmittel erwirtschaften die Tachelesbetreiber jedoch selbst durch Vermietung, Einnahmen, Eintrittsgelder, Mitgliedsbeiträge, Sponsoring und Verkaufsausstellungen, um ihre Selbstverwaltung nicht aus den Händen zu geben. Dass das Tacheles keine Ausnahme geblieben ist, davon zeugen weitere misch- oder eigenfinanzierte Kulturhäuser, die nach dem Mauerfall in Ost-Berlin entstanden sind, darunter das Acud, die Brotfabrik, die Kalkscheune, die KulturBrauerei, die Kunst-Werke, der Prater und das Pfefferwerk. Eins sollte allerdings zu denken geben: Angesichts leerer Bezirkskassen in Berlin werden sich auch sie eine Zeit lang noch bewähren, dann aber, wenn die Förderung ganz ausbleibt, droht ihnen das Schicksal, als Spielball finanzkräftiger Privatinvestoren ganz einfach aus dem öffentlichen Raum weggekickt zu werden. Sabine Vogt

Dieser Aufsatz ist erstmals im Jahrbuch für Kulturpolitik 2005 des Institutes für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. (Klartext Verlag, Essen) erschienen.

Die Arbeit geht zurück auf die Dissertation von Sabine Vogt:

Sabine Vogt: Clubräume – Freiräume, musikalische Lebensentwürfe in den Jugendkulturen Berlins, Musiksoziologie Band 14, Bärenreiter Verlag, Kassel 2005

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